Katharina Ziemke: Bilder, die sich selbst erleuchten

Ein Interview mit Joseph Pearson

08. Dezember 2016

Mit der Ausstellung »Too late. I got my face on« der Künstlerin Katharina Ziemke eröffnet die Schaubühne am 22. Dezember einen temporären Ausstellungsraum in der ehemaligen »Universum Lounge«. Ziemke präsentiert Arbeiten auf Papier – Tuschezeichnungen und leuchtende Pastellmalereien – sowie Skulpturen.

Ich klingele an der Tür ihres Charlottenburger Ateliers, das sich über einer Werkstatt für Saiteninstrumente befindet. »Wenn du eine halbe Stunde früher gekommen wärst, hättest du eine Cellosuite von Bach durch den Boden hören können«, erzählt sie. Katharina Ziemke trägt ein elegantes Kleid in Pink und etwas Rouge auf den Wangen – sie hat heute etwas Rokokohaftes an sich. Ich erwidere: »Das klingt nach einer guten Art zu arbeiten«.

Sie nimmt mich mit in ihr helles Atelier und umringt von ihren Arbeiten für die Ausstellung reden wir über ihre Karriere zwischen Paris und Berlin, ihre Sujets und ihre Kunst.

Joseph Pearson: Du hast in Paris studiert, bist aber 2005 nach Deutschland zurückgekehrt. Könntest du etwas über deine Ausbildung und dein künstlerisches Bewusstsein zwischen diesen beiden Kulturen und Ländern erzählen?

Katharina Ziemke: 1998 bin ich in Paris angekommen, 1999 habe ich begonnen, an der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts unter Jean-Marc Bustamente und Joël Kermarrec zu studieren. Die französische Herangehensweise an visuelle Kunst ist sehr wissenschaftlich. Sie wollen, dass die Künstlerin nicht nur ihr eigenes Schaffen reflektiert, sondern darüber auch in mehr oder weniger akademischer Weise spricht. Es wird erwartet, dass man sehr viel liest und die Uni hat eine fantastische Bibliothek. Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz, dass es wichtig ist, bestimmte Soziologen und Philosophen zu zitieren. Ich fand und finde das ziemlich seltsam. Das impliziert schließlich, dass diese Texte für die Arbeit eines jeden Studierenden hilfreich sind. Das Ergebnis ist eine normative Ausbildung.

Ich habe nie an einer deutschen Kunsthochschule studiert, obwohl ich in Kiel geboren und bis zum Abitur dort zur Schule gegangen bin. Deutsche Kunsthochschulen sind anscheinend ziemlich anders als die in Frankreich, es besteht eine enge Beziehung zwischen Lehrer und Schüler, wobei manche Künstler sich wie Könige verhalten. Ich will keine Namen nennen und mir Feinde machen!
Heutzutage haben sich natürlich auch die Kunsthochschulen globalisiert und versuchen, internationalen Maßstäben gerecht zu werden und Künstler für den globalen Markt hervorzubringen; ich weiß, das klingt hart. Ich stehe der – intellektuellen und formalen – Standardisierung sehr kritisch gegenüber. Wir brauchen Individualismus. Wir brauchen starke Persönlichkeiten und Experimente.

Alle deine Arbeiten in dieser Ausstellung sind auf Papier. Warum arbeitest du nicht auf Leinwand?

Als ich in Paris war, habe ich angefangen auf Leinwand zu arbeiten. Aber seit 2012 arbeite ich nur noch auf Papier. Vielleicht wegen der Leichtigkeit der Oberfläche. Es ist fragil. Die Oberfläche wird auf Papier wichtiger. Bei Reispapier fühlt man die Materialität. Es ist sehr sinnlich, es ist so weich. Ich will nicht, dass die Leute es anfassen, aber wenn man es tun würde, würde es sich ganz seidig anfühlen.

Wenn man auf Leinwand arbeitet, nimmt man eher das Sujet des Bildes als das Material wahr. Aber bei Papier sieht man die Oberfläche. Wenn ich Wachskreide benutze, zieht sie in eine präparierte Leinwand nicht ein, aber in die Fasern des Papiers schon: ein weiterer Grund, warum ich Papier bevorzuge. Wenn die Pigmente in die Papierfasern einziehen, passiert unmittelbar etwas. Wenn es einmal drin ist, kann man es nicht mehr ändern. Weil es etwas Unmittelbares ist, etwas Reales, dass nicht verändert werden kann.

Kannst du uns etwas über die Arbeiten sagen, die in dieser Ausstellung gezeigt werden?

Die ursprüngliche Idee für diese Ausstellung kam von zwei Zeichnungen (»Jaava« und »Black«) und einer Skulptur (»Gabriel«, der Erzengel). Das Bild »Jaava« hat mich zu der Skulptur inspiriert. »Black« zeigt eine Puppe in einem Schaufenster. Sie ist nicht lebendig und diese Tatsache verunsichert mich. Es beunruhigt mich, wenn ich nicht weiß, ob etwas lebendig ist oder nicht. Deswegen wollte ich auch diese Skulpturen oder Puppen machen, die diese unheimliche Ausstrahlung haben: sie erinnern mich an Marionetten oder Voodoo-Puppen, an Holzfiguren in Kirchen, oder religiöse Szenen, die in Kirchen in Vitrinen ausgestellt werden (und von denen einige glauben, dass sie manchmal bluten oder Wunder hervorbringen). Was all diese Dinge gemeinsam haben, ist, dass sie unheimlich sind. In gewisser Weise ist die Ausstellung an der Schaubühne eine Welt des Unheimlichen, eine Reminiszenz an den Jahrmarkt mit Kuriositätenkabinett (wie die bärtige Frau, oder der Schwertschlucker).

Diese Welt ist theatralisch. Meine Arbeit »Wig« (Perücke) handelt von Verkleidung, Rollenspiel und Theater. Aber es gibt auch die Andeutung von Tod, und die Angst vor dem, was nach dem Tod passiert. Eine Perücke ist etwas Nicht-Lebendiges, das dennoch zur Welt der Lebenden gehört. Aber selbst unser eigenes Haar ist nicht lebendig. Ich denke an Voodoo-Puppen, die echtes Haar haben – die Unheimlichkeit von menschlichem Haar auf einer Holzpuppe, die Verbindung von Lebendigem und Totem. Ich interessiere mich auch für das religiöse Element – die Grenze zwischen Leben und Tod – und daher stammt meine Beschäftigung mit Erzengeln und dem Jüngsten Gericht. Die beiden Skulpturen in dieser Ausstellung kommen sowohl aus der Welt des Jahrmarkts als auch des Jüngsten Gerichts. Es ist nicht offensichtlich, aber für mich sind sie die Art von Wesen, die man am Jüngsten Tag trifft. Obwohl ich mir natürlich gar nicht sicher bin, dass es so etwas wie ein Jüngstes Gericht gibt. Es interessiert mich gewissermaßen unter künstlerischen Gesichtspunkten.

Aber ich will keine zu vollständige Interpretation liefern: Ich sage lieber, dass dieses Gemisch von Ideen – die Unklarheit, ob etwas lebendig oder tot, belebt oder unbelebt ist – den Ursprung meiner Inspiration bildet. Die Präsentation von fetischartigen Heiligenstatuen – zum Beispiel in Kirchenschaukästen – ist natürlich angelehnt an die Art der Repräsentation in Museen oder Galerien.

Es gibt starke Verbindungen zwischen den Ausstellungsstücken und fast alle wurden gemeinsam im letzten Jahr, die meisten sogar in den letzten sechs Monaten hergestellt. Ohne zu viel zu sagen: man bemerkt vielleicht, dass der Engel über die Streifen seines Rocks formal mit dem Kostüm in der Zeichnung »Clown« verbunden ist, und dass es dafür einen Grund gibt. Oder dass in der sechsteiligen Serie »Strangers« jede Figur auf irgendeine Art ein Fremder ist: der Elefant im Hotel oder das Memento Mori des Vanitas-Motivs der Pusteblume, die beinahe tot ist.

Warum bist du so besessen vom Unheimlichen, Untoten?

Vielleicht weil Kunst daher kommt. Die ersten Menschen erschufen diese Götzen und kleine Fetischobjekte für religiöse Zwecke und um Macht zu erlangen. Im Voodoo ist es so, dass man durch Erschaffung einer Sache, Macht über etwas anderes erlangt. Man kontrolliert das Unheimliche, in dem man eine Repräsentation schafft: Ängste, Illusionen oder was in der Zukunft passieren wird. Vielleicht ist das die der Kunst innewohnende Kraft, aber ich bin nicht sicher.

Kannst du ein bisschen über deinen kreativen Prozess erzählen: wann und wie du arbeitest, was dich zum Arbeiten anregt, und was nicht?

Ich arbeite eigentlich jeden Tag. Ich habe den Drang zu arbeiten. Ich arbeite immer nur an einem Werk, bis es fertig ist. Der Prozess ist immer gleich: ich habe eine Idee, ein sehr vages Bild im Kopf. Erst durch den Arbeitsprozess entdecke ich, wie es sich entwickeln wird. Wenn ich zum Beispiel mit einer Pastellzeichnung beginne, wähle ich zunächst eine Farbe aus. Durch diese Auswahl beschränke ich gleichzeitig die Auswahl der anderen Farben. Ich muss darauf reagieren, was da ist und muss meine Arbeit anpassen. Die Arbeit selbst bestimmt den Prozess.

Was sagt uns der Titel der Ausstellung über die Exponate?

Ich wollte einen Titel, der die Beschäftigung mit der Theateraufführung illustriert, mit Rollen und Perücken, und so kam ich zu Masken. Es gibt diese umgangssprachliche Formulierung im Englischen, die mit Absicht grammatisch unkorrekt formuliert ist, »I got my face on«. Wir alle spielen eine Rolle und wir alle »setzen ein Gesicht auf«. Aber das ist nur die erste Interpretationsstufe. Man betritt die Ausstellung und sieht Skulpturen, die ihr Gesicht schon aufgesetzt haben. Man kann sie nicht ändern. Man muss sich dem Problem stellen und sich damit auseinandersetzen. Es ist zu spät (It’s too late). Ja, wir können unsere Rollen ändern, aber in dieser Ausstellung muss man sich mit den Gesichtern auseinandersetzen, die man sieht.

Deine Arbeiten sind in drei Inszenierungen von Thomas Ostermeier zu sehen, und teilweise stehst du auch während der Vorstellung auf der Bühne. Kannst du uns etwas zu dieser Zusammenarbeit erzählen?

Wir haben uns über eine Sammlerin meiner Kunst kennengelernt und ich habe Thomas in mein Atelier eingeladen. Er war sehr begeistert und hat eine meiner Arbeiten gekauft. Seitdem haben wir uns immer mal wieder getroffen und ich habe viele seiner Stücke gesehen. Eines Tages erzählte er mir, dass er eine Inszenierung vorbereite, bei der es Wandzeichnungen geben solle, und ob ich mir vorstellen könne, diese zu zeichnen. Das war für »Ein Volksfeind«. Seitdem habe ich außerdem für »Die Möwe« und »Professor Bernhardi« gezeichnet. Bei »Die Möwe« entwickele ich während der Vorstellung eine Berglandschaft (mittlerweile wird diese während der Aufführungen von Marine Dillard gezeichnet). In »Professor Bernhardi« schreibe ich Worte an eine weiße Bühnenwand, die dann gelöscht werden und mit wieder anderen Worten ersetzt werden, bis es mehrere bis es mehrere Schichten -Überlagerungen und Löschungen- von geistigen und abstrakten Räumen gibt, die dann zu einem abstrakten Gemälde werden.

Was machst du, wenn du nicht malst? Was liest du, was hörst du und was inspiriert dich?

Ich lese sehr viel, hauptsächlich Philosophie. Meine Lektüre ist vielseitig: französische Philosophen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, vor allem Descartes. Nietzsche ist wichtig für mich, weil er mir hilft, zu leben: zu verstehen, dass die Welt nicht für mich geschaffen wurde, damit ich darin leben kann, sondern dass ich sie willkommen heißen muss und mich nicht beschweren darf, selbst wenn sie grausam ist. Ich lese Kierkegaard, und er ist einer der Gründe, warum ich mich für Religion interessiere, auch wenn ich nicht religiös erzogen wurde und meine Eltern Atheisten sind. Vielleicht bin ich so fasziniert von Religion, weil ich keine Erfahrungen damit gemacht habe, als ich aufgewachsen bin. Etwas zeitgenössischer ist mein Interesse an der analytischen Philosophie, nicht so sehr an Wittgenstein, aber an Davidson und Quine. Ich bin fasziniert von ihrem Verständnis der Welt, und wie wir sie erkennen können, ihrer Art, die Welt zu sehen. Auch Künstler versuchen, die Welt zu erkennen und zu verstehen. Die Philosophie gibt mir diese Möglichkeit.

Ist das der Grund, warum du zeichnest?

Malen ist für mich eine Notwendigkeit.

Aus dem Englischen von Franziska Lantermann

Ausstellung: Too late. I got my face on

Ausstellung von Katharina Ziemke
Eröffnung am 22. Dezember um 18 Uhr
Laufzeit von 23. Dezember 2016 bis 27. Januar 2017
Täglich von 16 bis 20 Uhr geöffnet
Eintritt frei

Premiere war am 22. Dezember 2016