








Amerikas Argumentation gegen den Rassismus
Joseph Pearson unterhält sich mit dem New Yorker Theaterensemble Elevator Repair Service über deren Stück »Baldwin and Buckley at Cambridge«
von Joseph Pearson
11. April 2025
Ein Familienfreund des Schauspielers Greig Sargeant sagte immer zu ihm, er solle den Romanschriftsteller James Baldwin auf der Bühne spielen. »Versuche irgendetwas zu finden,« schärfte er ihm ein, und so durchforstete Sargeant Interviews und Bücher, Dokumentarfilme und Videoaufnahmen, bis er per Zufall auf die Debatte aus dem Jahr 1965 zwischen dem Schriftsteller und William F. Buckley, dem erzkonservativen Gründer der Zeitschrift »National Review«, stieß.
Sargeant erzählt mir: »Als ich mir die Aufnahme ansah, spürte ich sofort eine Verbindung zu ihr. Ich, ein Schwarzer schwuler Künstler, sehe mir einen anderen Schwarzen schwulen Künstler an, der über ein Thema spricht, das mein ganzes Leben bestimmt hat: die Erfahrung, ein Schwarzer in den USA zu sein. Wow, das war 1965. Und heute hat sich eigentlich gar nichts geändert. Und – wow – das ist ein fesselndes Stück Theater.«
Und schon bald darauf wurde das zur Vorlage für die Inszenierung »Baldwin and Buckley at Cambridge« des Theaterensembles Elevator Repair Service am Public Theater in New York.
Baldwin hatte sich bereits 1956 mit seinem in Paris angesiedelten, queeren Roman »Giovanni’s Room« (»Giovannis Zimmer«) einen Namen gemacht. 1963 wurde »The Fire Next Time« (»Nach der Flut das Feuer«) veröffentlicht, eine Sammlung von Essays, in denen die zentrale Bedeutung von Race in der US-amerikanischen Geschichte debattiert wird. Baldwins Herausgeber in England schlugen ihm vor, in Großbritannien Interviews zu geben und Diskussionsrunden zu veranstalten. Sie wählten die Cambridge Union Society als Veranstaltungsort, eines der weltbesten Foren für öffentliche Debatten. Andere Konservative hatten die Einladung bereits abgelehnt, bevor Buckley zusagte, mit Baldwin über die Frage zu diskutieren, ob der amerikanische Traum auf Kosten der Schwarzen Bevölkerung ging. 700 Zuhörer_innen drängten sich in den Veranstaltungssaal, in den normalerweise nur weniger als die Hälfte passten.
Zwischen den zwei Männern hätte es keinen größeren theatralischen Kontrast geben können – ein Umstand, der von Elevator Repair Service aufgegriffen wird. Baldwin war Schwarz, schwul, in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und ohne Hochschulabschluss. Buckley, hier gespielt von Ben Jalosa Williams, war weiß, heterosexuell, hatte in Yale studiert und besaß einen in seiner Antiquiertheit beinahe schon komischen Akzent.
Buckley schrieb wohlwollend über die Apartheid in Südafrika und das Fortbestehen der Rassentrennung im US-amerikanischen Süden. Ein zentraler Punkt in Buckleys Argumentation war, dass er radikal bezweifelte, dass Rassismus strukturell sei. Er plädierte für eine Leistungsgesellschaft und vertrat die Ansicht, dass die Schwarzen US-Amerikaner_innen ihre eigene Armut selbst verursacht hätten. Buckley wurde später vom Schriftsteller Vidal Gore als »Krypto-Nazi« bezeichnet – und Buckley hasste Gore, weil dieser schwul war. (Man kommt nicht umhin sich zu fragen, ob Buckleys Auftreten als Inbild des privilegierten Amerikaners im gestärkten Hemd auch eine Form von Kompensation darstellte, da er katholisch und spanischsprachig aufgewachsen war.)
John Collins, der Regisseur von »Baldwin and Buckley at Cambridge«, erzählt mir, dass es einen Grund gibt, warum man Buckleys Argumenten Aufmerksamkeit schenken sollte, »nicht, weil sie überzeugend sind, sondern weil sie uns auf unheimliche Weise vertraut sind. Es gibt Menschen, die auch heute noch dieselben Argumente vorbringen, wenn auch nicht immer so deutlich. Aber die Ideen – und die Überzeugungskraft, die diese schlimmen Ideen immer noch besitzen – sind von Bedeutung, wegen Trump und seine Angriffe auf Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion. Aber heute haben wir es mit einer schrecklichen Monster-Version davon zu tun – die Vorstellung, dass ein System, wenn es auf Leistungen basieren würde, Schwarze Menschen noch nicht einmal einschließen würde.«
Wortgetreues Theater ist Collins und seinem Ensemble nicht fremd – gemeint ist dokumentarisches Theater, welches sich der vorgefundenen Worte realer Personen bedient. Ihr Stück »Arguendo« (2013) ist das Protokoll eines Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof der USA, in dem erotische Tänzerinnen in Berufung auf den ersten Zusatzartikel um ihr Recht kämpfen, nackt aufzutreten. In ähnlicher Art und Weise ist »Baldwin and Buckley« der fast wortgetreue Text aus dem Debattierclub der Universität Cambridge.
Ich frage John, auf welche Art die Einschränkungen, die die wörtlichen Wiedergabe mit sich bringt, produktiv sein können, und er antwortet: »Als Ensemble stellen wir uns, wie in vielen unserer Stücke, eine Aufgabe, die wir auf der Bühne lösen müssen. Wenn wir die rohen Elemente miteinander reagieren lassen, sehen wir, welche Art von Alchemie entsteht. Wir schreiben die Texte nicht gern in eine leichter verdauliche Form um. Wir waren alle der Überzeugung, dass die Leute den Text heute genauso anhören können, wie er damals gesagt wurde, so dass er an zwei Orten gleichzeitig existiert. Hören, wie er damals war, und jetzt hören, wie er in unserer heutigen Kultur widerhallt. Einige Dinge in der Sprache der 1960er, einige der benutzten Wörter, sind heutzutage höchst problematisch. Aber uns interessieren auch Spannungen und Misstöne.«
Aber selbst, wenn man die Wörter beibehält, kann die Art der Darstellung einen Unterschied machen. Ich fand es spannend, dass das Ensemble sich dazu entschieden hat, Buckley nicht dessen sofort wiedererkennbaren, übertrieben theatralischen, elitären Akzent zu geben, wenngleich Ben Jalosa Williams »eine großartige Imitation Buckleys abgibt«. Collin erklärt mir: »Wir wollen das Publikum nicht versehentlich in Sicherheit wiegen und den falschen Eindruck erwecken, es gäbe nichts Gefährliches an ihm. Als wäre er nur eine Karikatur, eine Witzfigur. Er ist kein Witz.« (Etwas ›Reales‹ wirkt so auf der Bühne manchmal nicht ›echt‹ – eine leicht veränderte Darstellung gibt dem Publikum die Möglichkeit, besser daran zu glauben.)
Aber der Vorgang, den Ort der Debatte nachzubilden, hat etwas von einer Wiedererweckung, weshalb ich Greig und John nahelege, dass jetzt genau der Zeitpunkt ist, an dem wir es dringend nötig haben, dass James Baldwin von den Toten aufersteht – um leibhaftig zurückzukommen und uns alle zu retten. In einem Film, einem Buch oder einem anderen historischen Dokument gefangen könnte seine Wirkung ansonsten eingeschränkt sein.
Greig fährt fort: »Es macht Spaß, James Baldwin heraufzubeschwören, der auf eine Art brillant und wortgewandt ist, wie ich es nicht bin. Er hat mir eine Stimme gegeben, und auch so vielen anderen people of color, als er auf intellektuelle Art im Detail analysierte, wie es ist, ein Schwarzer Mensch in den USA zu sein. Diese Debatte fand 1965 statt. Wir müssen immer wieder betonen, dass sich die Dinge wirklich nicht so sehr geändert haben. Die Menschen an die Argumente in diesem Stück zu erinnern, ist so dringend wie bei uns nichts zuvor.«
John erzählt mir: »Die Aufrichtigkeit Baldwins ist etwas, das wir uns aneignen müssen, wenn wir das Grauen, was in den USA gerade herrscht, überleben wollen. Wir müssen an der Wahrheit festhalten und sie sichtbar machen. Diese Debatte zu hören bedeutet eine Menge, zu hören, wie James Baldwin aktiv für die richtige Seite kämpft.«
Er fährt fort: »Für die Menschen in Deutschland ist es wichtig zu wissen, dass Baldwin unsere USA und unser amerikanisches Ideal symbolisiert. Er ist das, was die USA sein sollte. Er nimmt Buckleys Argumente so schön auseinander, seine Ignoranz, seinen Rassismus. Es ist heutzutage so wichtig zu wissen, dass es seit 60 Jahren, und heute immer noch, eine starke Argumentation gegen Rassismus gibt, die von innerhalb der USA kommt. Ich bin froh, dass ich die Menschen in Europa daran erinnern kann, aber auch mich selbst.«
Baldwin and Buckley at Cambridge
(New York)
Konzept: Greig Sargeant, Elevator Repair Service
Regie: John Collins
Premiere war am 10. April 2025
Pearson’s Preview
