House of Dance, Foto: © Gianmarco Bresadola, 2023 
House of Dance, Foto: © Gianmarco Bresadola, 2023 
House of Dance, Foto: © Gianmarco Bresadola, 2023 
House of Dance, Foto: © Gianmarco Bresadola 
House of Dance, Foto: © Gianmarco Bresadola 
House of Dance, Foto: © Gianmarco Bresadola, 2023 
House of Dance, Foto: © Gianmarco Bresadola, 2023 
House of Dance, Foto: © Gianmarco Bresadola, 2023 
House of Dance, Foto: © Gianmarco Bresadola, 2023 
House of Dance, Foto: © Gianmarco Bresadola, 2023 
House of Dance, Foto: © Gianmarco Bresadola, 2023 
House of Dance, Foto: © Gianmarco Bresadola, 2023 
House of Dance, Foto: © Gianmarco Bresadola, 2023 
 

Darf ich bitten?
... mit Tina Satter an der Schaubühne

von Joseph Pearson

18. April 2023

Die romantische Vorstellung des Stepptanzens ruft Bilder von Fred Astaire und Ginger Rogers wach, wie sie durch einen Art-Déco-Tanzsaal wirbeln, von Broadway-Castings für eine der begehrten Rollen im Musical »A Chorus Line« oder in der Radio City Music Hall, von zwei hoffnungsfrohen jungen Menschen, die über den »La La Land«-Lichtern von Los Angeles steppen. Der Stepptanz beschwört den Glanz des Wange-an-Wange-Tanzens herauf, Frack und Abendkleid, Federboas, Manschettenknöpfe und Schauspieler_innen, die aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz plötzlich anfangen zu singen. Der matte Glanz des Glamours der Alten Welt ist für viele Menschen einer der Grundbausteine von Spätabendprogramm-Filmen. Als ich noch ein kleiner Junge war, gehörten »Shall We Dance« (»Tanz mit mir«) und »Top Hat« (»Ich tanz mich in dein Herz hinein«) zum Silvester-Standardprogramm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens Kanadas: man verabschiedete sich vom alten Jahr, als ob es einer fernen Vergangenheit angehörte.

Die Regisseurin Tina Satter, die das Stück »House of Dance« zum FIND 2023 an die Schaubühne bringt, erzählt mir: »Stepptanz ist anachronistisch, selbst in den USA. Er ist nicht so weit verbreitet wie zum Beispiel das Ballett. Stepptanz war immer eher etwas, womit man Kinder nach der Schule beschäftigen konnte. Trotzdem ist er immer noch mit demromantischen und erstrebenswerten Glanz des Showgeschäfts verbunden. Ich fand es spannend, mit dieser Vorstellung zu spielen, dass sich das eigene Leben plötzlich ändern würde, wenn man nur diese eine besondere Sache lernt. Dass es einen aus der Kleinstadt herausbringen würde. Das ist an sich schon überaus theatralisch – und die Grundlage vieler Filme. Als wir bei den Proben damit anfingen, mit Kostümen, Zylindern und glitzernden Fracks zu spielen, hat das sofort das ganze Stück angehoben. Das ist das Showgeschäft! Das war eine ziemlich direkte Art und Weise, sich damit auseinanderzusetzen, was es für jemanden bedeutet, ein_e Künstler_in zu sein.«

Tina Satter hat schon mehr als nur ein glitzerndes Stück der zeitgenössischen Theaterwelt erlebt und auf der Theatererfahrungs-Wunschliste abgehakt: Ihre Arbeiten waren an experimentellen Spielstätten zu sehen, am Broadway und off-Broadway, und vor Kurzem feierte ihr Film zum Theaterstück »Is This A Room«, welches sie 2022 beim FIND vorgestellt hatte, auf der Berlinale Premiere. Ich frage sie, wie »House of Dance« entstanden ist.

Satter antwortet: »Das Stück »House of Dance« hat seinen Ursprung in einer Auftragsarbeit für Richard Maxwell und die New York City Players am Abrons Arts Center. Als wir dort die Treppe zur Spielstätte hinuntergingen, hatten wir das Gefühl, in ein altes Stepptanzstudio zu kommen, die Idee für das Stück begann also mit dieser ortsbezogenen Besonderheit, da es dort keine richtige Bühne gab. Das Stück, das sich daraus entwickelte, spielte sich dann sehr stark auf der Metaebene ab. Ich wollte, dass es in Echtzeit abläuft: Eine Gruppe von Menschen kommt eines Nachmittags zu einer Tanzprobe zusammen und erfreut sich daran, gemeinsam etwas zu gestalten. Außerdem wollte ich mit Schauspieler_innen arbeiten, nicht mit Stepptänzer_innen, die diese besondere Fertigkeit professionell praktizieren, deren Beherrschung jahrelange Übung erfordert. Von den Schauspieler_innen erwartet man, dass sie es so spielen, als würden sie es beherrschen, was dem Stück ein gewisses Gefühl von Verletzlichkeit verleiht. Dass sie hart daran arbeiten und alles daran geben müssen, diese Fertigkeit in relativ kurzer Zeit zu erlernen, macht das Ganze bewegend.«

Ich sage: »Wenn du von Erstrebenswertem sprichst und davon, Künstler_in zu sein, schwingt im Hintergrund auch immer die nackte ökonomische Realität mit. Dein Stück spielt in einer provinziellen Kleinstadt, nicht am bunt-strahlenden Broadway. In meinem Interview mit The Wooster Group vor ein paar Wochen habe ich die Frage gestellt, wie es um die wirtschaftlichen Aussichten des Nachwuchses der US-amerikanischen Avantgarde steht. Wie siehst du die Situation?«

Satter antwortet: »Die experimentelle Szene in New York schrumpft immer mehr zusammen. Es gibt dort Leute mit einer großen Begabung für das Experimentelle, aber die Art, wie sie arbeiten (überall außerhalb der Innenstadt), ist nicht mehr experimentell. Und der off-Broadway ist – ganz anders als der Broadway – häufig darauf fixiert, was das Publikum verlangt, weil diese Theater auf Abonnement-Zuschauer angewiesen sind. Nach einer Probeaufführung wird das Publikum befragt, und wenn das Publikum verwirrt ist, teilt die künstlerische Leitung dir das in ihren Anmerkungen mit und fordert Änderungen. Das Abonnement-Publikum zu bedienen und ohne staatliche Förderung zu arbeiten bedeutet, dass man einen kleinsten gemeinsamen Nenner klar verständlicher Kunst findet, der dem Rätselhaften oder Experimentellen wenig förderlich ist. Ich unterrichte und betreue häufig junge Autor_innen und Regisseur_innen, diemich dann fragen: Wie bekomme ich den Berufseinstieg hin? Aber die meisten Orte, die mir geholfen haben, gibt es nicht mehr.«

»Welche Erfahrungen hast Du damit gemacht, ein Stück, das zuvor in New York mit amerikanischen Darsteller_innen aufgeführt wurde, an die Schaubühne zu bringen und mit deren Ensemble zu inszenieren?«

Satter antwortet: »Bevor ich zum ersten Mal hierher kam, war mir nicht klar, wie gut die technischen Fähigkeiten der Schaubühne-Darsteller_innen sind. Sie besitzen eine Körperlichkeit, die bemerkenswert ist. Für mich ist das ein ungewohnter Luxus, wenn mir meine Schauspieler_innen die verschiedensten Möglichkeiten anbieten, eine Szene zu gestalten. In den USA ist das wiederum eine Sache der Wirtschaftlichkeit. Wir haben dort keine Zeit, weil der Proberaum Geld kostet. Aber hier in Berlin haben wir die Zeit, miteinander zu spielen. Das ist sehr spannend.«

»Ich kann mir vorstellen, dass es schwierig war, in Deutschland eine_n Stepptanz-Lehrer_in zu finden...«

»Sie war wirklich nicht leicht zu finden! Aber Christoph [Buchegger], der Produktionsleiter, hat ganze Arbeit geleistet und mich während der Bauprobe im November mit einer wirklich fantastischen Person zusammengebracht, einer ursprünglich aus Portugal stammenden Berliner Stepptanz-Lehrerin. Als ich dann im Frühjahr hier ankam, beherrschten die Schauspieler_innen also schon die Grundlagen des Stepptanzens und hatten schon sehr gute Konzepte für die Tanzeinlagen im Stück ausgearbeitet. Dafür bin ich wirklich dankbar!«

»Die andere offensichtliche Änderung betrifft den Raum. In der ursprünglichen Idee ging es um eine standortspezifische Inszenierung in New York. Wo finden eure Aufführungen in Berlin statt?«, frage ich.

Sie antwortet: »Die finden im »Globe Theatre« [Saal C der Schaubühne] statt, und wir denken dabei immer an den Raum: Was bedeutet es, wenn das »Globe« zum Stepptanzstudio wird, und dieses dann nicht mehr in einer amerikanische Kleinstatt angesiedelt ist, weil hier deutsch gesprochen wird? Wir haben uns zusammen mit unserer Dramaturgin Bettina Ehrlich dann ein prächtiges Rathaus in einer Kleinstadt ausgedacht, das in ein Gemeindezentrum umgewandelt wurde. Der ehemalige Glanz des Raums ist verblasst, weil diese Stadt es sich nicht leisten kann, ihn wieder schick herzurichten.

Wir wenden uns der Tongestaltung zu.

Sie erzählt: »Ich denke schon von Anfang an ständig darüber nach, wie Dinge aussehen oder sich anfühlen, und der Ton ist hier auch sehr wichtig. Der Tongestalter Chris [Giarmo] und ich arbeiten sehr eng zusammen. Ich wollte die diegetische Musik [=Musik, die von den Charakteren im Stück wahrgenommen wird] einer Tanzstunde, die Grundzüge einer von Henri [Maximilian Jakobs] gespielten Klavierbegleitung, um dann die Stimmung in gemeinsamen kurzen Gesangseinlagen über das Klassenzimmer hinweg zu heben. Chris hat dann also einen Soundtrack entworfen, für den er die sprechenden und singenden Schauspieler_innen aufgenommen hat, deren Stimmen dann in der Tongestaltung widerhallen – und so kommen sie alle zusammen.«

Zum Abschluss unserer Unterhaltung denken wir zurück an Tina Satters erste Inszenierung an der Schaubühne, »Is This A Room« beim FIND 2022. Das Stück war eine wortgetreue Nachstellung des FBI-Protokolls der Verhaftung der Whistleblowerin Reality Winner. Ich frage Satter, ob sie auch für »House of Dance« mit Textfundstücken gearbeitet hat.

Sie antwortet: »Als ich anfing, an diesem Stück zu schreiben und dafür online zu recherchieren, stieß ich auf ein paar Videos – wirklich schräges Zeug, sogar für die USA – einer Subkultur aus YouTube-Stepptanz-Lehrern, die wild monologisieren. Sieh mich an, ich stehe auf der Bühne! Ich übernahm eins dieser Videos wortwörtlich, und tatsächlich funktionierte das für die Schauspieler_innen irgendwie. Es gibt also eine Art Collage. Den größten Teil des Stücks habe ich erfunden. Aber die Wahrheit kann manchmal spannender sein, auf eine seltsame Art rhythmischer, als die Fiktion.«

»House of Dance« feierte am 19. April beim FIND 2023 Premiere.

House of Dance

von Tina Satter
Aus dem Englischen von Gerhild Steinbuch
Regie: Tina Satter
Deutschsprachige Erstaufführung

Premiere war am 19. April 2023

Trailer