








»Die besoffene, zerschlagene Welt einer Figur«
Enda Walsh unterhält sich mit Joseph Pearson über »Safe House«
von Joseph Pearson
31. März 2025
Das Stück »Safe House« des gefeierten irischen Theatermachers kommt zum FIND 2025 an die Schaubühne und ist, was die Form betrifft, eher schwer zu beschreiben. Ein Liederzyklus, eine Installation, eine Collage oder ein zerstückelter Film? Die Inszenierung vom Abbey Theatre in Dublin ist einerseits das Porträt seiner Protagonistin Grace, die von Kate Gilmore gespielt wird, andererseits aber auch ein Abbild des äußersten Randes von Irland. Ich treffe mich mit Enda Walsh, um diese mit alten Möbeln, defekten Geräten und gebrochenen Herzen vollgestopfte Abstellkammer auszupacken...
JOSEPH: Erzählen Sie uns vom sozialen Umfeld im Westen Irlands, in dem diese Geschichte spielt.
ENDA: Ich schreibe schon seit Jahren über Menschen und ihre Umgebung und wie sich diese auf den Charakter auswirkt. Ich hatte mir eine Handball-Gasse vorgestellt. Solche Beton-Strukturen, die wie Squash-Plätze aussehen, werden heutzutage nicht mehr wirklich genutzt. Früher wurden dort Gälische Spiele veranstaltet, aber Handball ist heute nicht mehr so beliebt wie in den 1950er und 1960er Jahren. Aber sie stehen immer noch da, wie Monolithen. Man kann sie außerhalb kleiner Städte oder Dörfer finden und es können ziemlich schockierende Orte sein, an denen Bauern ihren ganzen Krempel abladen. Die Jugendlichen versammeln sich dort. Leute hatten dort Sex, nahmen Drogen – das ganze Trara. Das ist im Westen Irlands, im äußersten Westen der Insel.
JOSEPH: Wird dort draußen Irisch gesprochen?
ENDA: Bearna liegt außerhalb der Stadt Galway, das ist ein irisch-sprachiges Gebiet. Ich wollte von der irischen Sprache Gebrauch machen um von einer Figur zu erzählen, die dort aufgewachsen ist, von einer Person, die faktisch obdachlos war und in Irland umherzog, bis sie schließlich im Westen auf das Meer blickte. In dem Stück geht es um das Verschwinden der irischen Sprache. Viele Menschen sehen das nicht, aber es steckt schon ein bisschen mit drin. Meine Figur wendet sich von Irland ab – vom Leben, von der Hässlichkeit – und kreiert allein durch ihre Willenskraft eine andere Art zu leben. Und das, nachdem sie eine zerrissene Collage-Version ihres eigenen Lebens durchlebt hat.
JOSEPH: Lassen Sie uns über den collagenhaften Eindruck des Stücks reden. Ich habe das Gefühl, dass heutzutage die meisten Dramen in der englischsprachigen Welt auf einem linearen Handlungsablauf beharren. Aber Sie stellen sich gegen diese Grundsätze des kommerziellen Theaters...
ENDA: Ich habe so viele Stücke geschrieben, und sie sind schrittweise immer weniger wortwörtlich zu verstehen gewesen, immer weniger genau ausgeführt – und offener dafür, von den Zuschauer*innen nachträglich interpretiert zu werden, damit sie darin später einen Sinn entdecken können, wenn sie das möchten. Und dann haben wir angefangen, im Team darüber zu sprechen, dass wir unsere Art von Theater mehr in Richtung Musik bewegen und einen Liederzyklus machen sollten. Um uns weniger mit Handlung und Erzählung zu beschäftigen und mehr mit musikalischen Themen und Liedern, und einem zerfahrenen Leben. Denn wenn wir uns wahrheitsgetreu mit den Erinnerungen unseres eigenen Lebens auseinandersetzen wollten, dann würden diese als Bruchstücke hervorkommen. Und wir haben uns überlegt: Wenn man das auf die Bühne bringt, ist da ausreichend Bewegung drin. Da kommt ein ganzes Leben auf uns zu, in Fragmenten, durch die Figur Grace. Ob das für sie ein Akt des Gedenkens ist, weiß ich nicht genau. Aber ihre Vergangenheit ist eine Art Kanal. Sie ist ein Kanal. Ich mag Musikalben. Vielleicht ist das ein Konzeptalbum fürs Theater. Oder ihre Version eines merkwürdigen Erinnerungsstücks. Oder ein zerstückelter Film. Es ist ein Theaterstück, das sich anfühlt wie ein Konzertauftritt. Das alles zusammen.
JOSEPH: Sie arbeiten mit der Komponistin Anna Mullarkey. Erzählen Sie mir von dieser Zusammenarbeit.
ENDA: Je mehr ich über diese Idee nachgedacht hatte, desto deutlicher wurde mir, dass ich mit jemandem in Irland zusammenarbeiten wollte, und zwar mit einer Frau, die altersmäßig nicht zu weit von der Hauptfigur entfernt ist. Und dann habe ich mir ihre [Mullarkeys] Musik angehört. Das ist Soundtrack-Musik, aber Electronica. Mit einem Klavier. Und da war mir klar: Verdammt, das ist genau der richtige Sound, absolut. Ich wollte, dass das Stück in den frühen 1990ern spielt, mit ein paar Verweisen auf diesen Sound und diese Instrumente, um daraus eine Art Historiendrama zu machen. Ich habe mich mit ihr getroffen und gemeint, wir machen mal zwei Tracks zusammen und schauen, wie wir vorankommen. Ihre Musik ist im besten Sinne des Wortes eine Herausforderung für die Ohren, mit sonderbaren Rhythmen. Und ich dachte mir: Das ist echt verdammt interessant. Wenn ich mit ihr zusammenarbeite, wird mich das ganz schön vorantreiben. Und dann hat sie die Figur der Grace geschrieben, obwohl ich die Texte geschrieben habe. In einem früheren Lied hatte sie die besoffene, zerschlagene Welt der Figur erschaffen. Mit ihr zu arbeiten war fantastisch – weil ich alt bin und eine Menge Arbeiten geschaffen habe, und sie am Anfang ihrer Laufbahn steht und ihr das scheißegal ist. Was für eine unglaubliche Energie!
JOSEPH: Dem Schaubühnen-Team sind Sie kein Unbekannter, aber das ist eine ganze Weile her! Thomas Ostermeier hat 1998 »Disco Pigs« inszeniert. Wie, glauben Sie, hat sich Ihre Arbeit verändert?
ENDA: Thomas war damals an der Baracke, und dort haben wir »Disco Pigs« auf die Bühne gebracht, mein zweites Stück. Es wurde dann in ganz Deutschland gespielt. Das war eins dieser klassischen Junge-Leute-Stücke: unglaublich großspurig, ich wollte damit angeben, wieviel Sprache ich schreiben konnte. Für Autor*innen ist es ganz normal, dass man zuerst ins Wort verliebt ist, und dann kann man diese Stücke schreiben, und dann zerfetzt man sie und fängt nochmal von vorne an. Bei dem Liederzyklus geht es mir zum Teil darum, dass ich ein wenig davon gelangweilt bin, Zeilen für andere Leute zu schreiben, und Dinge, die sich wie Theaterstücke anfühlen. Aber ich glaube, dass ich das überwunden habe und jetzt wahrscheinlich zum Wort zurückkehren werde. Ich kann es spüren. Aber ich habe auch einen Punkt erreicht, an dem mir die Rückkehr zur Einfachheit sprechender Figuren eine Heidenangst einjagt. Kann ich einen Menschen auf die Bühne stellen und zu anderen Menschen sprechen lassen? Kann ich das wirklich tun?
JOSEPH: Erzählen Sie uns etwas über Kate Gilmore. Wie und warum haben Sie sie ausgewählt?
ENDA: Wir haben sie vorsprechen lassen, weil wir sie in vielen verschiedenen Dingen gesehen haben und weil ich ihre Stimme kannte, weil ich wusste, dass sie eine mutige Darstellerin ist und wie sie aussieht. Außerdem brauchten wir jemanden, der die ganze Sache singen kann, aber auch schauspielen. Keine Musical-Darstellerin – das ist jetzt nicht abwertend gemeint – aber jemand Geerdetes, mit Bodenhaftung. Sie ist eine echte Dublinerin aus der Arbeiterschicht. Manchmal kann sie auch wie eine kleine Prinzessin sein, es macht ihr aber auch nichts aus, hart und hässlich zu sein. Und jetzt, wo ich einmal mit ihr zusammen gearbeitet habe, möchte ich das gerne wiederholen.
SAFE HOUSE
(Irland) von Enda Walsh und Anna Mullarkey
Regie: Enda Walsh
Eine Produktion des Abbey Theatre
Premiere war am 04. April 2025
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