Mit Wandel spielen Lars Eidingers und John Bocks »Peer Gynt«
Von Joseph Pearson
28. Januar 2020
»Peer Gynt« hat im Februar an der Schaubühne Premiere und vereint die Talente des Schauspielers Lars Eidinger und des Künstlers John Bock.
Ich beginne mit Eidinger, da ich mich auf dem Weg zur Probe und beim Nachdenken in der U-Bahn gefragt habe, welcher Stoff ihn als Schauspieler und Regisseur ansprechen könnte. Irgendwo zwischen Rosenthaler Platz und Paracelsus Bad habe ich mir eine Liste mit Kriterien ausgedacht – alles Vermutungen: 1.) Es muss einen Helden mit der Fähigkeit zur psychologischen Tiefe geben: Immerhin ist dies der Mann, der Hamlet und Richard III. verkörpert; 2.) Es muss wild und fantastisch sein. Es ist bewundernswert, wie verspielt Eidinger sein kann, wenn man sich zum Beispiel Rodrigo Garcias »Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch« oder Thomas Ostermeiers Inszenierung von »Ein Sommernachtstraum« ansieht; 3.) Das Stück muss die Fähigkeit haben, Grenzen zu überschreiten: Eidinger hat bekanntermaßen keine Angst vor Provokation.
Peer Gynt erfüllt all diese Kriterien. Ibsen schrieb über sein Stück von 1867, es sei »wild und formlos, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen«. Er schuf es nicht zu Hause, sondern auf einer Reise durch Süditalien. »Peer Gynt« trägt die Spuren dieser Wanderschaft – in spitzbübisch-episodischer Manier schildert Ibsen eine Reise über die Kontinente – mit genügend Abstand zur Heimat, um das Werk mit einer kräftigen Prise Satire zu durchdringen. Romantische und individualistische Ausprägungen des norwegischen Temperaments finden ebenso Eingang wie nationale Mythen über Trolle und Milchmädchen. Während sich das Stück geografisch ausbreitet, mit seiner großen Anzahl von Charakteren, die aus Peer Gynts Fantasie stammen, verschwimmen Fantasie und Realität. Aber es ist der Protagonist, ein norwegischer Bauer auf der Suche nach Glück, der die Erzählung zusammenhält. Im Sinne eines umgekehrten Bildungsromans geht Peer Gynt ins Ausland, um sich selbst zu verwirklichen, kehrt aber als gebrochener Mann zurück nach Hause.
Ich erreiche die Probebühne der Schaubühne und entdecke ein weitläufiges baukastenartiges Bühnenbild: Zelte und enge Räume, Rutschen, Orte zum Herumkriechen. Es scheint ein Raum für Improvisation und Selbstfindung zu sein – dafür, tierisch zu sein, Fantasie und Realität zu verwischen. Aus einer Ecke höre ich die Synthiepop-Klänge von A-ha. Es gibt einen riesigen Bildschirm, auf dem die identitätsspaltende Ästhetik des digitalen Videokonsums in zufälliger Form wiedergegeben wird. Eidinger kommt in Unterwäsche und Strumpfbändern, einer blonden Perücke, das Gesicht weiß geschminkt auf die Bühne. Absurderweise trägt er auch einen plüschig-grünen Toilettensitz auf dem Kopf. (Bin ich der Einzige, dem auffällt, wie viel Lars auf der Bühne isst?) Die nun folgende Szene im Saal des Trollkönigs ist eklektisch, flirrend und wild.
Das Set erscheint zunächst als riesiger Spielplatz für Eidinger, den alleinigen Darsteller der Produktion – ich höre die Redewendung »Baby Punk« am Set –, aber John Bock, der das Bühnenbild und die Kostüme gestaltet, korrigiert mich schnell, dass es kein Spielplatz ist. Das Set hat eher die Anmutung einer Scheune oder eines Bauernhofs und vermittelt den Eindruck von Landwirtschaft. Man muss es gesehen haben! Aber die Arbeit ist für mich erkennbar Bock: die komplexen Konstruktionen, die Collage von Alltagsgegenständen, die Mischung aus Video und Performance. Es ist eine bemerkenswerte Rauminstallation mit Hang zum Grotesken.
Die Gemeinsamkeit, die ich zwischen Eidinger und Bock sehe, ist ihre Veranlagung zu guter Laune und Heiterkeit. Ich frage, wie es zu ihrer Zusammenarbeit kam.
»Wir arbeiten sehr gut zusammen«, erzählt Bock, »einer hat eine Idee, der andere setzt sie zusammen, einer schneidet etwas weg, ein anderer fügt etwas Neues hinzu. Wir spielen mit der Veränderung. Und es funktioniert sehr gut.«
»Ich bin schon lange Fan von John.«, sagt Lars.
»Das wusste ich gar nicht!«, ruft Bock.
Eidinger beschreibt, wie er eine Ausstellung Johns in der Schweiz besuchte. Und dann eine Kunstinstallation in Berlin, wo John auf Papptellern zeichnete, auf denen er Toast Hawaii servierte.
»Alle waren begeistert und wollten ihr eigenes kleines Kunstwerk von John.«, erzählt Eidinger.
»Und den Toast auch, kann ich mir vorstellen«, füge ich hinzu.
»Ja, sie waren heiß auf den Toast! Ich habe auf einen gewartet und John sagte: Hier ist einer für jemanden, der so schön Dreck isst! Und ich verstand dann, dass er ›Hamlet‹ gesehen hatte. Er gab mir seine Nummer und kam regelmäßiger ins Theater. Dann haben wir angefangen, Performances zusammen zu machen sowie zwei Filme. So haben wir uns kennengelernt. Ich wollte immer Peer Gynt spielen, so wie ich immer Hamlet und Richard III. spielen wollte, und deshalb fragte ich John, ob er sich vorstellen könne, Theater zu machen. Er war sofort interessiert. Er musste nicht darüber nachdenken, er sagte sofort ja.«
Was ist Peer Gynt für ein Protagonist? Ist er ein Antiheld, ein Dichter, ein freier Geist oder einfach nur ein Lügner und schwachsinnig? Ich drehe mich zu Eidinger und frage: »Magst du Peer Gynt als Charakter?«
»Ich versuche Rollen zu spielen, mit denen ich mich identifizieren kann, aber ich bin nicht daran interessiert zu urteilen. Ich denke stattdessen: Wo ist der Ausgangspunkt für diesen Charakter? Wie kann ich das Beste aus ihm machen, wie ich es mit Hamlet oder Richard III. versucht habe? Aber ja, ich mag ihn.«
Eidinger geht weiter auf das Traumhafte des Stückes ein: »Die Figuren, mit denen Peer Gynt konfrontiert ist, entspringen seiner Fantasie. Jeder von ihnen hat etwas von ihm: einen Teil seiner Persönlichkeit. Solveig zum Beispiel sehe ich als das kindliche Ich von Peer Gynt, etwas, das ihm durch seine Reisen und Traumata eingeprägt wurde und in sich selbst eingeschlossen ist.«
»Ist Peer Gynt ein Antiheld?«, frage ich.
»Keiner von uns ist ein Held. Der Held ist fiktiv, eine Erfindung, eine romantische Idee und nicht realisierbar. Wir sind alle Antihelden. Die Hoffnung ist, dass das Publikum Peer Gynt ansieht und sich selbst erkennt. Denn während man vielleicht danach strebt, ein Held zu sein, wird man durch Antihelden zum Nachdenken gebracht.«
Als Eidinger über diese Identitätsfrage spricht, frage ich, ob sie sich also mehr auf die intimeren und psychologischen Aspekte von Ibsens Stück als auf die politische Satire und Gesellschaftskritik konzentriert haben.
John Bock antwortet: »Es gibt ja diese Erwartung, dass man politisch agieren und eine Erklärung für das Publikum abgeben muss. Solche Gedanken haben wir nicht. Wir bieten einen subjektiven Blick, den wir den Zuschauer_innen zu Füßen werfen, und ob sie ihn mögen oder nicht, sie können frei entscheiden. Wir möchten das Publikum nicht moralisch erziehen. Würdest du da zustimmen, Lars?«
Lars lacht: »Ja, außer dass es mir wichtig ist, ob sie es mögen oder nicht! Ich möchte, dass sie es sehr mögen!«
Peer Gynt
von Henrik Ibsen
Ein Taten-Drang-Drama von John Bock und Lars Eidinger
Premiere war am 12. Februar 2020
Mit dem Aufruf des Videos erklären Sie sich einverstanden, dass Ihre Daten an YouTube übermittelt werden. Mehr dazu finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Bei Klick auf die Schaltfläche "Akzeptieren" wird ein Cookie auf Ihrem Computer abgelegt, so dass Sie für die Dauer einer Stunde, diese Meldung nicht mehr angezeigt bekommen.