Foto: Thomas Aurin, 2019 
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Foto: Thomas Aurin, 2019 
Foto: Thomas Aurin, 2019 
Foto: Thomas Aurin, 2019 
Foto: Thomas Aurin, 2019 
Foto: Thomas Aurin, 2019 
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Foto: Thomas Aurin, 2019 
Foto: Thomas Aurin, 2019 
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Foto: Thomas Aurin, 2019 
Foto: Thomas Aurin, 2019 
Foto: Thomas Aurin, 2019 
 

Sei Dankbar!
»Danke Deutschland – Cảm ơn nước Đức« an der Schaubühne

von Joseph Pearson

19. März 2019

Rechtsextreme greifen eine Flüchtlingsunterkunft an. Ein Gebäude geht in Flammen auf. Tausende Menschen sehen zu und applaudieren.

Diese Fotos werden auf das aus mehreren Ebenen bestehende und mit Blumen übersäte Bühnenbild projiziert. Doch handelt es sich nicht um aktuelle Bilder, die hasserfüllte Reaktionen auf die sogenannte Flüchtlingswelle von 2015 dokumentieren, sondern um Geschehnisse von vor 30 Jahren: Rostock-Lichtenhagen, 1992. Die massivsten rassistisch motivierten Angriffe in Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Viele derjenigen, die damals unter furchtbaren Umständen im »Sonnenblumenhaus« genannten Plattenbau-Heim lebten, kamen aus Vietnam.

»Es hat mich interessiert, den Umgang mit Geflüchteten heute und den vietnamesischen Migrantin_innen von damals in Beziehung zu setzen«, erzählt Sanja Mitrović, die Regisseurin der Produktion »Danke Deutschland – Cảm ơn nước Đức«.

»Was erzählen uns die Erfahrungen der vietnamesischen Migrant_innen über Deutschlands Vorstellung von Zugehörigkeit und seine Fähigkeit, mit Unterschieden umzugehen?« frage ich.

»Die vietnamesische Community in Deutschland ist eine der größten migrantischen Gruppen im Land, es gibt heute mehr als 100.000 vietnamesisch-stämmige Einwanderer_innen. Es war erhellend, anhand dieses Beispiels die Einstellungen gegenüber Migration zu untersuchen, die Definitionen dessen, was ein guter Migrant oder ein guter Staatsbürger ist, und wie sich der Status des Migranten innerhalb der letzten 50 Jahre verändert hat. Da diese Fragen auch von den sozio-ökonomischen Bedingungen abhängen, wollte ich herausarbeiten, wie sich die Definitionen gewandelt haben und wie sie vom jeweils herrschenden System beeinflusst waren. Das ist der dramaturgische Fokus der Inszenierung. Mich haben die Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland und den jeweils dort lebenden vietnamesischen Gemeinschaften interessiert. Die Verhältnisse in der DDR und der BRD waren sehr unterschiedlich, dennoch gibt es einige fundamentale Ähnlichkeiten, deren Erkennen uns dazu befähigen kann, die Reaktionen auf die jüngste ›Flüchtlingskrise‹, den aktuellen Populismus und den Aufstieg der Rechten zu verstehen. Migration wird ein zentrales Thema bleiben. Migration wird in den kommenden Jahren immer weiter zunehmen, aufgrund politischer Konflikte, der kapitalistischen Ökonomie und auch wegen des Klimawandels und der kommenden ökologischen Katastrophe. Wissenschaftler_innen gehen davon aus, dass im Jahr 2100 aufgrund des Klimawandels mehr als eine Milliarden Menschen zur Migration gezwungen sein werden.«

»Du hast die voneinander abweichenden Erfahrungen der Einwanderer_innen im geteilten Deutschland erwähnt – wie genau haben sie sich unterschieden?« frage ich.

»In der Bundesrepublik der späten 70er Jahre haben sich sowohl konservative als auch sozialdemokratische Parteien dafür ausgesprochen, sogenannte ›Boatpeople‹ – Kriegsflüchtlinge aus Südvietnam, die vom kommunistischen Regime verfolgt wurden und über das Vietnamesische Meer flohen – in Deutschland aufzunehmen. Als diese Flüchtlinge in Deutschland ankamen, bekamen sie Paten, Sprachkurse, das Recht auf Freizügigkeit und Zugang zum Arbeitsmarkt. Im Gegenzug wurde von den Einwanderer_innen Dankbarkeit erwartet. Die vietnamesische Community im Westen wollte niemandem zur Last fallen, sich nicht beschweren, immer in Angst, zurückgeschickt zu werden. In anderen Worten: Sie war unsichtbar.«

»Und wie war die Situation in der DDR?«

»Im Osten gab es die sogenannten Vertragsarbeiter_innen: Arbeitende, die von der sozialistischen nordvietnamesischen Regierung seit den 1980er Jahren in die DDR geschickt wurden, um dort zu arbeiten und Fähigkeiten zu erlernen, die ihnen zurück in Vietnam von Nutzen sein sollten. Die Arbeiter_innen kamen voller Hoffnung in die DDR, es war eine Ehre, ausgewählt zu sein, in einem sozialistischen Bruderland zu arbeiten. Doch dort angekommen, wurden sie mit der harten Realität konfrontiert: Sie lebten in abgelegenen Unterkünften, sprachen kaum Deutsch, und der Umgang mit den Einheimischen war ihnen untersagt. Die Integration gestaltete sich als schwierig. Nach dem Mauerfall mussten diese Vertragsarbeiter_innen sich dann auf dem freien Markt beweisen, um in Deutschland bleiben zu dürfen. Viele von ihnen gründeten eigene Geschäfte – Blumenläden, Restaurants – anderen wurde Geld geboten, damit sie nach Vietnam zurückkehrten. Beide Communitys, im Westen und Osten, hatten unterschiedliche Erfahrungen und mussten unterschiedliche Schwierigkeiten meistern. Und auch nach der Wiedervereinigung Deutschlands blieben diesen beiden Gruppen getrennt. Doch auf der Bühne haben wir sowohl Vertragsarbeiter_innen als auch Boatpeople der ersten und zweiten Generation – Menschen, die sich sonst vermutlich nie begegnet wären. In diesem Projekt haben sie die Gelegenheit, sich über ihre Geschichten auszutauschen.«

Während der Probe lausche ich ihren Erzählungen. Eine Medizinstudentin aus Vietnam erzählt, wie sie in den 1980er Jahren in der DDR ankam. Sie freute sich darauf, sich ein neues, besseres Leben aufzubauen, doch musste dann überrascht feststellen, dass sie in ihren Deutschkursen nur Wörter lernte, die alle irgendwie mit Essen zu tun hatten: Messer, Löffel, Kartoffel. Warum? Sie und die anderen vietnamesischen Frauen, die häufig spezialisierte Fähigkeiten hatten, mussten in Küchenbetrieben arbeiten. Sie durften keinen Kontakt mit den Deutschen haben. Als sie schwanger wurde, musste sie ihre Schwangerschaft sieben Monate lang verbergen, damit sie nicht zurück nach Vietnam geschickt wurde. Während sie spricht, werden Fotos auf die Leinwand projiziert: Ich sehe eine junge Frau vor der Weltzeituhr am Alexanderplatz. Die Zeit in Vietnam ist der in Berlin um Stunden voraus.

Die Art und Weise, wie diese Alltagsgeschichten präsentiert werden, ist die einer geduldigen und methodischen – und wie ich finde sehr berührenden – Schule des Dokumentartheaters, das durch Milo Rau und andere entwickelt wurde (Mitrović selbst war als Schauspielerin an einigen von Raus Arbeiten beteiligt). Die Körper der Zeitzeug_innen sind präsent, den persönlichen Geschichten wird Zeit und Raum gegeben und wir sehen Zeitdokumente projiziert auf der Leinwand – Briefe, Schnappschüsse, Zeitungsartikel über Geschehnisse, die Leben verändert haben. Zusätzlich fällt mir bei Mitrovićs Inszenierung aber auch ihr Umgang mit Tempo, Bewegung, Körper und Tanz ins Auge. In einem Moment geht es um menschliche Erfahrungen im Lauf der Geschichte, im nächsten tanzen sich die Performer_innen die Seele aus dem Leib.

»Es gefällt mir, mit Musikalität zu spielen«, sagt Mitrović. »Wie du siehst, ist sie sowohl in den verschiedenen Textebenen und den visuellen Materialien präsent, als auch in den Choreografien und Bewegungen. Bei der Recherche zum Stück haben wir sehr viele Menschen aus der vietnamesischen Community interviewt und auch zu Hause besucht. So haben wir auch unsere Besetzung gefunden. Wie immer ist für mich bei der Arbeit mit professionellen und nicht-professionellen Schauspieler_innen der Prozess das wichtigste. Er führt uns zu unverhofften Orten. Wir teilen unsere Geschichten und suchen gleichzeitig nach Stoffen, die diese Geschichten untermauern. Davor hatten wir uns schon sehr lange mit der theoretischen Recherche beschäftigt, die gerade bei diesem Thema sehr komplex ist. Während der Proben liegt mein Fokus dann darauf, all diese Elemente auf musische, rhythmische Art und Weise zu verbinden, so dass Spannung entsteht: zwischen der offiziellen Geschichtsschreibung, Geschehnissen, die unter den Teppich gekehrt und vergessen wurden und den persönlichen Geschichten der Schauspieler_innen. Tanz fügt dann die rhythmische Dramaturgie hinzu.«

»Zum Schluss würde ich dich gerne noch zum Titel der Produktion befragen, ›Danke Deutschland‹. Das war ja ein Ausdruck, der während der Konflikte in Jugoslawien genutzt wurde, um sich bei Deutschland dafür zu bedanken, dass es Slowenien und Kroatien 1991 als unabhängige Staaten anerkannt hat. Du bist eine jugoslawische Regisseurin. Der Jugoslawienkonflikt war durchzogen von Fragen nach ethnischer und staatsbürgerlicher Zugehörigkeit, Diversität, Inklusivität und der Zukunft des Sozialismus. All diese Themen sind auch in deiner jetzigen Produktion zentral. Jugoslawien ist ein Land, das sich aufgelöst hat. Vietnam und Deutschland, die während des Kalten Kriegs in zwei sich entgegenstehende ideologische und ökonomische Weltsysteme geteilt waren, sind wiedervereint. In welcher Form ist Jugoslawien also präsent in dieser Produktion?«

»Die Vorstellung von Jugoslawien als ein multi-ethnischer sozialistischer Staat ist für die heutigen Phänomene in Europa relevant: Fragen nach ethnischer statt staatsbürgerlicher oder transnationaler Zugehörigkeit, nach Multikulturalismus und Diversität, nach Inklusivität und Gleichheit. So ein Projekt war Jugoslawien und in gewisser Weise hat das auch für ein halbes Jahrhundert lang mehr oder weniger funktioniert. Die Europäische Gemeinschaft wurde auf ähnlichen Grundsätzen geschaffen, aber wie im Jugoslawien der 80er und frühen 90er Jahre, werden diese heute zunehmend missachtet, selbst von deutscher Seite. Es gibt Versuche, diese Ideen wertlos erscheinen zu lassen, sie als unmöglich oder unlogisch herabzusetzen. Es scheint als hätten wir nichts am Beispiel Jugoslawiens gelernt. Anstatt Internationalismus und Multikulturalismus zu fördern, folgen einige wieder den begrenzten nationalistischen Impulsen, die dann in der heutigen politischen und ökonomischen Atmosphäre häufig zu Xenophobie und Neo-Faschismus führen. Deutschland hatte eine zentrale Rolle bei der Zerschlagung Jugoslawiens. Es gab in Kroatien ein Lied, ›Danke Deutschland‹, das Dankbarkeit und Unterstützung für die Teilung, die schließlich das Land spaltete, ausdrücken sollte. Der Titel des Stücks hat also mehrere Bedeutungen. Zunächst steht er für die vietnamesische Community, die auf der Suche nach einem besseren Leben nach Deutschland kam, und das ihr auferlegte Gebot der Dankbarkeit. Sie musste dankbar sein, egal, in welchen Verhältnissen sie leben musste und es wurde erwartet, dass sie niemals Kritik äußert – das waren die Bedingungen dafür, als ›guter Migrant‹ angesehen zu werden. Aber der Titel hat auch eine ironische Bedeutung, vor dem Hintergrund meiner eigenen Herkunft und der Zerschlagung Jugoslawiens.«

Der vergleichende Blick auf Vietnam und Deutschland – geteilt in kapitalistische und sozialistische Systeme – untersucht also größere Fragen: Migration, Zugehörigkeit, Staatsbürgerschaft. Aber wo findet sich das dritte Beispiel, Jugoslawien, auf der Bühne wieder? Ich habe während der Proben keinmal das Wort Jugoslawien fallen gehört. Wo ist dieses Beispiel eines multikulturellen Sozialismus des Dritten Weges, eines blockfreien Bündnisses, bevor es von Nationalismus und dem folgenden Neoliberalismus zerstört wurde?

»Ist Jugoslawien … ein Geist?«, frage ich.

»Ja«, antwortet Sanja Mitrović, »auch wenn man es nicht sehen kann, ist es doch anwesend.«

Aus dem Englischen von Franziska Lantermann.

Danke Deutschland – Cảm ơn nước Đức

von Sanja Mitrović und Ensemble
Regie: Sanja Mitrović
Aus dem Englischen von Gerhild Steinbuch
Uraufführung
Globe

Premiere war am 4. April 2019

Trailer