Theater sollte uns nicht in Sicherheit wiegen Marius von Mayenburgs »Peng«
von Joseph Pearson
11. Mai 2017
»Ich habe nach den US-Wahlen mit diesem Stück angefangen«, erzählt Marius von Mayenburg. »Ich habe eigentlich an einem anderen gearbeitet, aber dann ist das passiert. Es war eine Art allergische Reaktion auf das, was geschehen ist. Die Wahl Trumps war aber nicht das erste Ereignis, sondern eher das letzte in einer langen Reihe: Wir hatten schon den Brexit, Erdoğan, Putin, Orbán, Kaczyński. Ich habe in der Gesellschaft so eine Sehnsucht nach Macho-Männern wahrgenommen, nach Anführern, die einfache Lösungen für komplexe Probleme anbieten. Und weil das Theater der Ort ist, wo wir unseren schlimmsten Sehnsüchten bis zu ihrem schlimmsten Ergebnis folgen können, habe ich mir die Figur ›Peng‹ ausgedacht«
Peng! Ein Name wie ein Knall. Knackig wie ein Slogan: Peng! Mayenburg sagt, er wollte einen Namen, der »knallt«, der die Reaktion der Menschen, die sich radikale politische Lösungen wünschen, illustriert: »Die Idee, dass die Menschen eine Veränderung wollen, dass sie möchten, dass etwas passiert, um jeden Preis«.
Peng wird als ein monströses Kind gezeigt, gespielt vom unnachahmlichen Sebastian Schwarz. Ich sehe dem Schauspieler dabei zu, wie er seine Monologe einstudiert, in denen er gegen alles und jeden austeilt, der nicht auf seiner Seite ist. Die politische Resonanz von Ralf Pengs Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Egoismus, Atavismus und seine Unfähigkeit, Kritik anzunehmen, ist dabei schwer zu übersehen. Während Schwarz seine Tiraden abliefert, läuft Mayenburg aufmerksam um ihn herum. Ab und zu unterbricht er und bedeutet Schwarz das ein oder andere Wort zu betonen (an dieser Präzision erkennt man, dass Mayenburg sowohl Autor als auch Regisseur ist). Schwarz trägt währenddessen extrem lächerliche und gleichzeitig gewagte Unterwäsche. Er hat so eine Art, sich darin lasziv über die Bühne zu bewegen. Die Mischung aus Kindlichkeit und Erwachsensein ist mit Absicht unangenehm. Wie Peng im Stück sagt: »Ich grapsche jeder Frau, die mir gefällt, in die Bluse oder zwischen die Beine, weil: Ich bin ja noch ein Kind. Ich mach das ›in aller Unschuld‹. Aus ›Neugier und Experimentierfreude‹«.
Aus Sicht der Eltern, die dieses Kind in die Welt gesetzt haben, kann er nichts Falsches tun. »Peng«
ist voller urkomischer, verstörender Situationen, in denen Pengs unentschuldbares Verhalten – auf dem Spielplatz, in der Musikschule, gegenüber seiner Babysitterin – immer wieder entschuldigt wird. Hier wird die Monströsität von Familienleben ausgestellt. Man fragt sich – zum Beispiel in einer Szene, in der Peng einen Teddybär kaputt beißt, als ob da ein Krokodil im Kinderwagen liegen würde statt eines Menschen – ob das Stück vielleicht eine effektive Methode zur Empfängnisverhütung sein könnte.
Mayenburg erläutert: »Eltern haben ihrem eigenen Kind gegenüber oft eine Art von Blindheit, sie sehen nicht, was schief läuft, weil sie es so sehr lieben. Und Eltern konkurrieren darin, ihr Kind zu idealisieren, wie speziell begabt oder außergewöhnlich es ist. Dass ein Kind mit 10 Monaten laufen kann, heißt nicht, dass es ein Mozart wird. Es ist dieses seltsame Phänomen, das ich thematisieren wollte. Und mir ist noch etwas anderes aufgefallen, das mit Macht zu tun hat. Ich denke, Menschen, die viel Macht haben, regredieren. Wenn man jemandem sagt, dass irgendetwas nicht möglich ist, dann gibt es genau zwei Sorten von Menschen, die darauf mit den Worten ›Ich weiß, dass es nicht geht, aber ich will es trotzdem‹ reagieren: Chefs und Kinder.«
Ich frage: »Ist das die Verbindung zwischen politischer Macht und Familie in diesem Stück?«
»Ja. Diese Tendenz ist sehr kindisch – was Erdoğan zum Beispiel tut, dass er sich von allem beleidigt fühlt, was über ihn gesagt wird. Das ist lächerlich. Jeder Erwachsene würde das so sehen. Trump hat ein Problem damit, wie viele Leute bei seiner Amteinführung waren. Mein Geburtstag war größer als deiner! Nein, meiner! Das ist vollkommen kindisch. Es ist mir aber trotzdem wichtig, klarzustellen, dass das hier kein Stück über Trump ist, sondern eher über eine bestimmte Denkweise in der Gesellschaft, die Figuren wie Trump hervorbringt.«
»Ist die kindliche Gewalt, über die du sprichst, eher eine männliche Verhaltensweise? Oder besser gesagt das Benehmen eines bestimmten Typ Mannes?« frage ich.
»Ich glaube sehr stark an Kultur. Männer werden zu Bestien, wenn es uns nicht gelingt, sie irgendwie domestizieren. Ich denke, das ist unbedingt notwendig. Es gibt einen Moment im Stück, wo ich sage, ›Männer töten, Frauen nicht‹. Natürlich ist das eine Übertreibung, aber es ist die Übertreibung von Zahlen, die für sich sprechen. Und ich denke wirklich, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn mehr Frauen in Machtpositionen sitzen würden, sogar wenn sie Merkel oder May heißen, die das Produkt einer von Männern dominierten Welt sind.«
Ich frage: »Dein frühes Stück ›Feuergesicht‹, das du 1997 geschrieben hast, beschäftigt sich auch mit Kindern und ihrer Fähigkeit zu radikalen Handlungen. Ist ›Peng‹ eine Revision dieser Themen, aber von einer erfahreneren Perspektive aus?«.
Mayenburg antwortet: »Es fühlt sich komisch an, jetzt über ›Feuergesicht‹ zu sprechen. Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Es ist beinahe so, als hätte jemand anderes dieses Stück geschrieben. Ich kann nur sagen, dass ich sehr wütend war, als ich ›Feuergesicht‹ geschrieben habe, und dass ich jetzt bei »Peng« auch sehr wütend war. Aber ich habe ›Feuergesicht‹ nicht geschrieben, um Kinder zu ermutigen, ihre Eltern umzubringen. Ich hoffe, dass das Stück von den allgemeineren Themen handelt, davon, erwachsen zu werden, Eltern zu haben, als junger Mensch auf der Welt zu sein. ›Peng‹ ist wahrscheinlich weniger psychologisch. Ich wollte, dass es ein Stück über politische Gefühle wird. Über den irrationalen Wunsch nach Explosionen und Sensationen in der politischen Sphäre. Ich mag nicht, mit welcher Geschwindigkeit sich die politischen Situationen heute verändern. Ich bin kein Fan von Revolutionen. Ich glaube an die Evolution und würde sie der Revolution immer vorziehen. Ich möchte spektakuläre Sportereignisse, spektakuläres Theater und ein spektakuläres Leben, aber ich möchte keine spektakuläre Politik. Politik wird spektakulär, wenn Menschen getötet werden. Ich ziehe langweilige und langsame Politik vor.«
»Peng« ist eine Geschichte, die in den Wohnungen und auf den Spielplätzen in Prenzlauer Berg angesiedelt ist, eine Mischung aus vernichtender Sozialkritik und Komödie. Der Regisseur erzählt: »Komödie ist die Hintertür, durch die ich versuchen kann, ein paar unangenehme Gedanken in die Köpfe der Zuschauer zu schmuggeln, wenn die Vordertür verschlossen ist.«
Einige Zuschauer werden den Humor – der heikle Themen wie häusliche Gewalt gegenüber Frauen umkreist – möglicherweise äußerst kritisch sehen und als erschütternd empfinden. Aber ich denke, dass wir uns der Bewegung, soziale Kritik im Theater im Namen der politischen Korrektheit zu zensieren und Theater zu einem neutralen, »sicheren Ort« (safe space) zu machen, widersetzen sollten. Mayenburg hat kein Interesse daran, dass es zu gemütlich wird für das Publikum, dass es sich zu sicher fühlt.
Er sagt: »Im Theater kann es nicht darum gehen, höflich zu sein. Es kann nicht darum gehen, Menschen zu zeigen, die das Richtige tun. Wenn ich auf der Bühne einen Mord zeige, meine ich damit nicht, dass wir alle uns so verhalten sollten. Theater muss angreifen, also ziehe ich es vor, auf der Bühne statt einer politisch korrekten eine politisch unkorrekte Figur zu zeigen, um vielleicht ein politisch relevantes Stück zustande zu bringen. Ansonsten haben wir am Ende eine Art Predigt, und predigen zu Menschen, die dasselbe denken wie wir. Das wäre langweilig, und intellektuell keine Herausforderung. Wenn ich etwas Schlimmes sehe, aktiviert mich das.«
»Ich denke, Menschen sollten sich nicht angegriffen fühlen, wenn Figuren auf der Bühne etwas Beleidigendes sagen. Vielleicht haben sie dann zum ersten Mal Gedanken, die sie sonst nicht haben würden. Ich versuche es ihnen schwer zu machen, sich gegen solche Gedanken zu wehren, die viel mehr mit uns selbst zu tun haben, als wir uns wünschen würden. Es ist leicht, mit dem Finger auf die USA zu zeigen und zu sagen: die haben diesen schrecklichen Präsidenten. Wir haben die gleichen Tendenzen hier in Deutschland, mit der AfD und Pegida. Diese Sehnsucht nach einfachen Lösungen für komplexe Probleme – Menschen, die vor Krieg fliehen, an der Grenze zu erschießen zum Beispiel – das ist auch eine deutsche Idee. Wir sollten nicht mit dem Finger auf andere Nationen zeigen.«
Ich verlasse die Probebühne – wo ich Männer gesehen habe, die wütend in Boxermasken gekämpft und hinter ihrem Mundschutz hervorgeknurrt haben, um danach auf einer riesigen grünen Rutsche zu spielen – und ich bin fasziniert davon, dass es nur ein halbes Jahr nach dem, was man nur eine Katastrophe in der amerikanischen Politik nennen kann, schon eine kräftige künstlerische Antwort darauf im deutschen Theater geben wird. Dass Kunst in schlechten Zeiten aufblüht ist eine leidige historische Hypothese – ich gehe lieber davon aus, dass wir nicht wissen können, wie Künstler reagieren werden – aber Stücke wie »Peng« bringen einen dazu, die Möglichkeit anzuerkennen, dass es einen zwingenden Zusammenhang gibt.
Aus dem Englischen von Franziska Lantermann.