28.02.2019 > Programmvorschau: Festival Internationale Neue Dramatik FIND vom 4. bis 14. April
In der 19. Ausgabe des Festival Internationale Neue Dramatik FIND erforschen renommierte internationale Theatermacher_innen und junge bislang unbekannte Kollektive unter dem Titel »Archäologie der Gegenwart« die politischen und gesellschaftlichen Strukturen der gegenwärtigen Welt. Produktionen aus Brüssel, Santiago de Chile, New York, London, Barcelona, Montréal und Peking – die meisten von ihnen zum ersten Mal in Berlin zu sehen – verhandeln Themen wie Migration und Klimawandel, dysfunktionale Gesundheitssysteme, sozialen Wohnungsbau, Cyborgs und Transhumanismus, patriarchale Unterdrückung und deren Brechung durch Feminismus und Genderdebatten.
»Mit Anne-Cécile Vandalem und Sanja Mitrović haben wir zwei der wichtigsten Theatermacherinnen Europas in unserem Festival. Sanja Mitrović wird eine Schaubühnen-Produktion mit Spielern und Spielerinnen unseres Ensembles und vietnamesischen Darstellerinnen auf die Bühne bringen. Anne-Cécile Vandalem zeigt nach ihrem vor zwei Jahren auf dem FIND gefeierten Stück »Tristesse« ihre neue Produktion »Arctique«, bevor sie im Herbst mit unserem Ensemble zum ersten Mal in Berlin arbeiten wird. Einen besonderen Höhepunkt stellt mit Sicherheit die Einladung der Wooster Group dar, die seit zehn Jahren nicht mehr in Berlin war und immer noch als Orientierungspunkt für performative und genreübergreifende Theatermacher und Theatermacherinnen gilt. Zum ersten Mal ist dieses Jahr eine chinesische Produktion von Li Jianjun als Gastspiel im Rahmen von FIND zu sehen. Nachdem wir die Tour von »Ein Volksfeind« im letzten Sommer wegen Zensur abbrechen mussten, ist diese Einladung ein besonderes Politikum.« so Thomas Ostermeier, Künstlerischer Leiter der Schaubühne.
Eröffnet wird das Festival mit der Projektentwicklung »Danke Deutschland – Cảm ơn nước Đức« von Sanja Mitrović in der die Regisseurin und Autorin mit unserem Ensemble und vietnamesischen Darsteller_innen einen Blick auf das wiedervereinigte Deutschland wirft, in denen Kapitalismus und Kommunismus sich einst unversöhnlich gegenüberstanden. Nach zwei Gastspielen beim FIND 2016 ist es ihre erste Inszenierung an der Schaubühne mit Schauspieler_innen des Ensembles. Das Stück wird Teil des Repertoires.
»ARCTIQUE« von Anne-Cécile Vandalem (Brüssel) spielt im Jahre 2025 auf einem ehemaligen Kreuzfahrtschiff, das aus Kopenhagen bis nach Grönland geschleppt werden soll und einige heimliche Mitreisende an Bord beherbergt. Als das Schleppboot verschwindet und das Schiff im Eismeer treibt, nimmt ein politischer Kriminalthriller seinen Lauf. Ihre letzte Arbeit »Tristesses« war beim FIND 2017 zu sehen. In der nächsten Spielzeit wird Anne-Cécile Vandalem mit Schauspieler_innen der Schaubühne zusammenarbeiten.
Zum ersten Mal seit über zehn Jahren wird das legendäre New Yorker Künstler_innenkollektiv The Wooster Group wieder in Berlin zu sehen sein. In »THE TOWN HALL AFFAIR« begeben sie sich auf die Spuren des Dokumentarfilms »Town Bloody Hall«, der eine Diskussion dokumentiert, die 1971 im »Town Hall« in New York zum Thema Emanzipation stattfand. Moderator des Abends war damals ausgerechnet der für seine machistischen Texte bekannte Schriftsteller Norman Mailer. Die Inszenierung zeigt den Film mit einem simultanen Reenactment, das offenbart, wie sehr heutige Diskussionen über Sexismus und Feminismus schon Anfang der 1970er Jahre angelegt waren.
Der katalanische Dokumentar-Theatermacher Didier Ruiz (Barcelona) gibt in seiner Arbeit »TRANS (més enllà)« sieben Menschen eine Stimme, die sich in der ihnen von außen zugeschriebenen Identität als Mann oder als Frau nicht wiederfinden können. Sie alle stehen als sie selbst auf der Bühne und erzählen von Gewalterfahrungen auf der Straße, am Arbeitsplatz, in der Familie, von Sehnsüchten, Träumen, Hoffnungen und von dem langen Weg zu sich selbst.
In der Produktion aus Chile »Paisajes para no colorear« erzählen Mädchen zwischen 13 und 17 Jahren von Stigmatisierung, Gewalt und ihrem Leben in einer extrem patriarchalen Struktur. Regisseur Marco Layera (Santiago de Chile) hat auf Basis von über 100 Interviews mit jugendlichen Chileninnen gemeinsam mit ihnen einen Text erarbeitet, der anklagend gegen ist und zugleich hoffnungsvoll darin, wie er eine zukünftige empathische und solidarische Gesellschaft formuliert.
Zum ersten Mal ist eine chinesische Produktion beim FIND zu Gast: Mit »Popular Mechanics« lässt Regisseur Li Jianjun und seine New Youth Group (Peking) Menschen aus Peking mit den Stimmen ihrer Lieblingsfiguren der Theater- und Filmgeschichte sprechen. Sie sind Shakespeares Hamlet, Olga aus Tschechows »Drei Schwestern« oder die Nina aus der »Möwe«, Jane Eyre, Medea oder Held_innen aus Hongkong-Filmen. Durch die Figuren erzählte Träume und Sehnsüchte entsteht ein Portrait des heutigen Chinas.
James Yeatman, der an der Schaubühne bei »Ungeduld des Herzens« zusammen mit Simon McBurney Regie führte, kommt mit seiner jungen englischen Theatergruppe Kandinsky zum ersten Mal zum FIND. »Trap Street« spielt in einem fiktiven Plattenbau der 1960er Jahre im Londoner East End, der als soziales Wohnprojekt erbaut wurde und dem jetzt die Sprengung bevorsteht. Damit wird auch die Lebensgeschichte der Arbeiterklasse im Zentrum der gentrifizierten, von Geld regierten Metropole London getilgt.
In der britischen Produktion »A Generous Lover« erzählt La JohnJoseph die Einweisung eines verlorenen Geliebten in die geschlossene Psychiatrieabteilung. La JohnJoseph erlebt eine Odyssee in dem über viele Jahre finanziell immer weiter abgebauten britischen Gesundheitssystem. Wie geht man damit um, wenn man genderqueer ist und von dem Personal der Klinik selbst als Patient_in gesehen wird? Wie finden Partner_innen, die an einer schweren psychischen Erkrankung leiden, zurück in eine Welt außerhalb der Psychiatrie?
Ausgehend von ihrer eigenen Diabetes-Krankheit beginnt Dominique Leclerc, Alternativen zu den veralteten medizinischen Geräten zu suchen und trifft auf Mitglieder der Cyborg-Bewegung und der transhumanistischen Community in Berlin. Zusammen mit ihrem Partner, dem deutschen Journalisten Dennis Kastrup, den sie während ihrer Recherche kennenlernte, wirft sie in »Post Humains«, einen Blick in eine Zukunft, die schon längst zur Gegenwart geworden ist: Die von Menschen entwickelten Technologien verbinden sich mit dem eigenen Körper, mit dem Ziel, unsere physischen und kognitiven Fähigkeiten und Funktionen zu optimieren.
Das Kollektiv Teatro Línea de Sombra (Mexiko-Stadt) erzählt in seinem Stück »Amarillo« von dem Grenzwall zwischen Mexiko und Amerika. Aufbauend auf den Zeugnissen hunderter Geflüchteter und ihrer Angehörigen, kondensieren sich die Geschichten hinter den Schlagzeilen in den Figuren. Es ist die einzige Produktion beim FIND, die schon seit mehreren Jahren tourt, aber vor dem Hintergrund der neu aufflammenden Diskussionen heute fast aktueller als zum Zeitpunkt der Premiere ist.
Rund ums Programm wird es Publikumsgespräche mit den Künstler_innen geben, ein Podiumsgespräch mit dem Träger des Friedenspreises Jan Assmann zur »Archäologie der Gegenwart« und einen Streitraum mit Carolin Emcke und Aleida Assmann, Enis Maci und weiteren Gästen zum Thema »Welches Europa?«. Wir freuen uns außerdem auf die Eröffnungsparty mit Drag-DJ Gloria Viagra und die Abschlussparty mit DJ Preller, einen Poetry Slam mit den Performer_innen von Young Identity aus Manchester und ein Konzert der Band unserer Schauspielerin Carol Schuler & The Maenads.
Wie jedes Jahr wird das Festival begleitet von dem Workshop-Programm FIND plus, mit dem wir einen Dialog zwischen Theaterschaffenden von heute und morgen anregen wollen. 80 Studierende aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Israel, den USA und dem diesjährigen Gastland Ägypten werden in Masterclasses, Workshops und Diskussionsveranstaltungen mit den Künstler_innen am Festivalgeschehen teilnehmen.
Einen Überblick über das gesamte Programm und alle Veranstaltungen finden Sie hier.
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