Deutschlandsaga

Uraufführungswerkstatt
von November 2007 bis April 2008
Regie: Robert Borgmann & Jan-Christoph Gockel

In der Uraufführungswerkstatt der Deutschlandsaga sind innerhalb von November 2007 bis April 2008 18 kurze Stücke junger Autoren entstanden. Sie zeigen die individuelle Auseinandersetzung der Dramatiker mit Geschichte und Gegenwart der letzten 60 Jahre. Oft befragten sie die eigene Lebens- und Familiengeschichte oder sie nahmen Recherchefundstücke zum Anlass, Ereignisse, Lebensgefühle oder Persönlichkeiten der letzten Jahrzehnte in kleine Dramen zu verwandeln. So entstand eine spannende und komplexe Recherche zu den Möglichkeiten des Theaters, Geschichte und unser Verhältnis zu ihr, zu erinnern, zu vergegenwärtigen und zu reflektieren.
Fünf Schauspieler unterschiedlicher Generationen, zwei junge Regisseure und ihr Team haben sich all diese Geschichten zu Eigen gemacht und sie im Studio der Schaubühne auf die Bühne gebracht.
Eine Auswahl der Stücke wird nun zu einer Reise durch Erinnerungen, Erfahrungen und Erfindungen zu den Nachkriegsjahrzehnten bis heute zusammengesetzt – das ist die DEUTSCHLANDSAGA.

Die 50er
FRÄULEINWUNDER von Johanna Kaptein
Ein Mädchen, im Krieg geboren unter dem Bombenhagel, kämpft sich durch die Jugend: endlich die Schrecken der
Kindheit und der Vergangenheit hinter sich lassen, den abwesenden Vater, die schweigende Mutter, die schrecklichen
Bilder. Endlich ein eigenes neues Leben, das ist die Gründung einer neuen Familie.
BACKFISCHTOD BAD NAUHEIM von Rebekka Kricheldorf
Elvis ist mit der US Army in Bad Nauheim stationiert. Vor seiner Tür lauern scharenweise Groupies. Backfisch Linda will lieber selbst Elvis sein. Aber was tun, wenn Elvis plötzlich schwanger wird?
RIALTO von Ulrike Syha
Während der Dreharbeiten des ersten deutschen Edgar-Wallace-Films »Der Frosch mit der Maske« geht in der Produktionsfirma alles drunter und drüber: zwischen den Sekretärinnen tobt der Kalte Krieg, der Drehbuchautor hat die Idee, eine Wallace-Serie zu schreiben, und der Produzent will vor allem eines – keine Experimente.
Nachkriegsgeschichte zu recherchieren und Kurzdramen über ihren persönlichen Blick auf die Zeitgeschichte zu schreiben. Was wird für erinnerungswürdig gehalten? Auf welche Ereignisse, Erzählungen, Gerüchte oder Gefühle bezieht sich eine junge Generation, wenn sie ihre eigene Identität aus der Vergangenheit ableitet? Die kurzen Stücke sind der Versuch, die Schichten der Geschichte aufzubrechen, um einzelne Teile betrachten und beschreiben, also interpretieren zu können.

Die 60er
KILL WILLY von John Birke
Zwei, die die richtige Zeit verpasst haben. Der einemillionunderste Gastarbeiter, dem das Moped entging, und der Techniker, der vor Willy Brandt den Knopf für das Farbfernsehen drückte: nun sitzen sie vor einer Hamburger Szenekneipe und schmieden einen Brandtplan.
DER UMSTURZ DER MILCHKANNE von Daniela Janjic
Zum Arbeiteraustausch wird Zora, eine junge Frau aus dem sozialistischen Jugoslawien, in die DDR geschickt. Voller Elan beginnt sie, Land und Leute kennenzulernen. Sie verliebt sich in einen Mann, den es ins kapitalistische Ausland zieht.
MONDLANDSCHAFTEN von Jörg Albrecht
Gisela Elsner, literarisches Enfant terrible der jungen BRD, verlässt ihre Familie und erträumt sich eine sozialistische Zukunft. Wernher von Braun, Konstrukteur von Hitlers V2-Rakete, vollendet mit der Mondlandung seine amerikanische Karriere. Die beiden Biografien treffen in einer von Krieg gezeichneten wüsten Gegend aufeinander – einer Mondlandschaft. Auf einmal funkt Raumpatrouille Orion: »Rücksturz zur Erde! Rücksturz zur Erde!«

Die 70er
ÜBERFALL. AUF DER SUCHE NACH EDITH KLETZHÄNDLER von Lorenz Langenegger
Am 19. November 1979 überfallen vier oder fünf RAF-Mitgliede eine Bank in Zürich. Die Verfolgungsjagd ist eine Farce. Die Täter flüchten ins Shopville. Eine Passantin gerät ins Kreuzfeuer zwischen Polizei und Terroristen.
FREIBURG von Claudius Lünstedt
Eine junge Frau in einer piefigen Kleinstadt in dem Land, in dem die RAF und der Kontrollstaat gegeneinander kämpfen, in dem der ostpreußische Vater im Keller Nazilieder singt und über seine jüdische Mutter schweigt. Mit 18 geht sie für immer: nach Paris.
BIG MITMACHE von Philipp Löhle
Die radikalste und gewalttätigste Terrorgruppe aller Zeiten formiert sich, um aus dem Untergrund das System aus den Angeln zu heben. Aber muss man deshalb auf die belegten Brote der Pflegerin verzichten? Schließlich lässt ein Sonntag im November 1973 alle revolutionären Träume zerplatzen.

Die 80er
DIE MECHANIK DER EREIGNISSE von Andreas Liebmann
Auf der einen Seite pisst eine Maus Herbizide, und vier Herren entscheiden über das Schicksal. Auf der anderen Seite ein tiefgefrorener Krieg, eine vom Leben ausgeschlossene Stadt. Außerhalb ein Leuchtturm auf einer Insel, und innerhalb explodiert eine Rakete. Plötzlich ist alles anders, kaum sichtbar. Vielleicht bemerken es die Tiere zuerst.
DAS HIER, DAS NICHTS von Thomas Freyer
Längst sind aus einem Land zwei geworden. Rebellische Söhne und verlassene Töchter, mutige Mütter und stumme Väter treten hier in den Momentaufnahmen einer Entfremdung auf, von der Men schenkette bis zu den Montagsdemonstrationen.
DILETTANTENDISKO von Anne Nather
Zem, ernster Dorfpunk der ersten Generation, will endlich eine eigene Underground-Band. Doch Bassistin Bärbi schleppt plötzlich Beatles-Platten an, Acki entdeckt seine Stimme, startet eine Spaß-Offensive und gibt einen Schlagertext zum Besten. Die Neue Deutsche Welle kommt zur Industrie und spült sich auch in die erste Probe.

Die 90er
BETA von Nina Ender
Anfang 90 – Beispielhaft für die Vereinigung zu etwas Neuem statt bloßem Beitritt will sich Augstein alias Bismärckchen mit dem DDR-Journalisten Morgen vereinigen – zu einer neuen Zeitung. Bei dieser Einheitszeitung wollen die Rote Gräfin und Cäsar ihr Wörtchen mitreden. Die Vier spielen die Bindungen und Bedingungen der Vereinigung durch. Plötzlich die Idee – warum nicht gleich Verfassungseltern werden?
DAS ENDE KOMMT SCHON NOCH von Ewald Palmetshofer
1990 bis 2000 – das ist die verschwundene Zeit vor dem Ende der Politik, das ist die Talkshowisierung des Prekariats, das ist die enttäuschte Sehnsucht auf Neues jenseits der Grenze des Milleniums.
DAS ERSTE STÜCK ÜBER MARTIN von Anne Rabe
Martin ist begeisterter Radsportler. Aber ihm fehlen immer fünf Prozent bis zur Spitze. Plötzlich ist er tot. Injektionskater nach einer Testosteron-Enantat-Spritze. Nun begegnen sich seine Eltern bei einem Therapeuten. Die Mutter hatte Martin, ihren Mann und die Heimatstadt Rostock verlassen, um in Hamburg ihr Glück als Architektin zu versuchen. Der arbeitslose Vater hat die Sportlerkarriere des Sohnes gefördert. Die Frage
nach Schuld, neues West- und altes Ostgefühl treffen aufeinander.

Die 00er
MASHUP von Simon Froehling
In den Bürowelten der New Economy der Nuller will man eine neue Zeitung gründen. Beim ersten Redaktionsmeeting konkurrieren in einem Brainstorming fünf Teilnehmer um Ressorts und Themenverteilung des jungen Blatts… Jeder wirft aus seiner Perspektive Stichwörter und Gedankenfetzen in die Runde, die Simon Froehling zu einem »Mash-Up« unseres Jahrzehnts verschmelzen lässt.
WENN ICH GEHE — VIELLEICHT EIN PFERD von Darja Stocker
Drei junge Frauen, zwei in demselben Land, eine auf einem anderen Kontinent. Eine einheimisch, zwei fremdländisch. Eine auf dem Dorf, zwei in der Stadt. Eine schon erwachsen, zwei noch nicht. Zwei Freundinnen, eine vielleicht Mutter. Alle, gewollt und ungewollt miteinander verbunden, erzählen in Fetzen die Nöte aus ihrem sehr unterschiedlichen Alltag einander und aneinander vorbei.
STÜCK GEGEN SICH SELBST von Dirk Laucke
Deutsch-sein, was ist deutsch, deutsche Kiefer, deutsche Birke, deutsche Eiche, Buchenwald, eine Befragung zum Deutsch-sein. Das Brandenburger Tor zwischen dem Tag der Befreiung 8. Mai und der Demo gegen die Befreiungslüge 8. Mai. Ein Volksfest. Das Fest der Demokratie. Ändert das was?

In der Auswahl wurden gezeigt:
FRÄULEINWUNDER von Johanna Kaptein
KILL WILLY von John Birke
FREIBURG von Claudius Lünstedt
BIG MITMACHE von Philipp Löhle
DIE MECHANIK DER EREIGNISSE von Andreas Liebermann
DAS ENDE KOMMT SCHON NOCH von Ewald Palmetshofer