Streit ums Politische: »Angst vor Kritik – Wie könnte eine Kritik von Lebensformen aussehen?«

Heinz Bude im Gespräch mit Rahel Jaeggi (Professorin für Praktische Philosophie, Rechts- und Sozialphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin)

22.09.2014, 19.30

Lassen sich Lebensformen als Lebensformen kritisieren? Können wir von Lebensformen behaupten, dass sie gut oder schlecht sind,  gelingen oder scheitern? Die Auseinandersetzung um Lebensformen ist Teil dessen, was es bedeutet, eine Lebensform zu teilen oder nicht. In »modernen« Gesellschaften sind die Fragen nach der richtigen, guten oder angemessenen Lebensform drängender denn je und sind doch angesichts der Pluralität dieser Gesellschaften immer schwerer zu beantworten.

Weite Teile der Philosophie vertreten die Position der »ethischen Enthaltsamkeit« oder der liberalen Neutralität gegenüber dem substanziellen Gehalt von Lebensformen. Diese Positionen reagieren darauf, dass moderne Gesellschaften offenbar durch eine Vielfalt ganz unterschiedlicher Lebensweisen und Auffassungen charakterisiert sind, die sich so schnell nicht miteinander vermitteln lassen werden. Auch die Alltagsweisheit des »jeder soll nach seiner Façon selig werden« scheint verständlich: Schließlich  wollen wir uns in unsere Lebensgestaltung nicht von Sittenrichtern hineinreden lassen.

Aber was, wenn innerhalb des Konflikts um Lebensformen die Position der Neutralität von einigen der Kontrahenten selbst als Partei aufgefasst wird? Schlimmer noch: Die Tendenz, Fragen der (kollektiven) Lebensgestaltung ins »philosophische Dunkel« zu stoßen verkennt die Tatsache, dass wir von überindividuellen Bedingungen unserer individuellen Lebensführung ausgehen. Damit werden strukturelle Vorentscheidungen unkenntlich gemacht und Lebensformen in ihrem Sosein »petrifiziert«, statt sie als Ausgangspunkt für Transformation und Auseinandersetzung um die beste Lösung des mit einer Lebensform gesetzten Problems zu betrachten. 

Heinz Bude vom Hamburger Institut für Sozialforschung diskutiert mit seinen Gästen über Affekte, die die Politik beherrschen.

Prof. Dr. Rahel Jaeggi, geb. 1966, Studium der Philosophie an der FU Berlin und der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a.M. Ihre Magisterarbeit schrieb sie über die politische Philosophie Hannah Arendts. Sie promovierte 2002 über: »Freiheit und Indifferenz – Versuch einer Rekonstruktion des Entfremdungsbegriffs«, 2009 folgte die Habilitation: »Kritik von Lebensformen«. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Philosophischen  Institut der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a.M. am Lehrstuhl für Sozialphilosophie von A. Honneth,  am Frankfurter Institut für Sozialforschung, Visiting Scholar an der New School for Social Research (1999), Visiting Assistent Professor an der Yale University und Hochschulassistentin an der Johann Wolfgang Goethe-Universität. Seit 2009 ist sie Professorin für Praktische Philosophie mit den Schwerpunkten Rechts- und Sozialphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Sozialphilosophie, der Ethik, der Sozialontologie und der philosophische Anthropologie. In ihrer Forschung ist sie an einer Weiterentwicklung zentraler Motive kritischer Theorien (im weiten Sinn) orientiert.

In jüngster Zeit erschienen: (zus. mit) T. Wesche (Hg.): »Was ist Kritik? Philosophische Positionen« (2009); Hrsg. (zus. mit) R. Forst, M. Hartmann, M. Saar: »Sozialphilosophie und Kritik« (2009); (zus. mit) D. Loick (Hg.): »Nach Marx« (2013); »Kritik von Lebensformen« (2013).

In Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung

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