Streitraum: Radikalisierung und De-Radikalisierung
Carolin Emcke im Gespräch mit Julian Junk (Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung), Heike Kleffner (Journalistin und Expertin für rechte Gewalt) und Behnam T. Said (Autor und Islamwissenschaftler)
Extreme ideologische Positionen, ob religiös oder politisch motiviert, erleben eine Renaissance. Der mediale öffentliche Diskurs beschäftigt sich mit diesem Phänomen vor allem dann, wenn es sich in Gewalt und terroristischen Anschlägen artikuliert. Wer verhindern will, dass sich eine Gesellschaft der Extreme entwickelt, muss sich fragen, wie Radikalisierungsmechanismen funktionieren. In welchen Stufen verläuft individuelle oder kollektive Radikalisierung? Welche psychologischen, familiären, sozioökonomischen Gründe lassen sich identifizieren? Wie können Behörden reagieren, ohne voreilig zu kriminalisieren? Und wie lassen sich radikalisierte Menschen wieder zu demokratischeren Positionen zurückführen?
JULIAN JUNK (*1980) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt am Main und Leiter des Berliner Büros der HSFK. Er leitet Forschungsprojekte in der vergleichenden Radikalisierungsforschung und zu Online- und Offline-Radikalisierung in den salafistischen Dschihadismus. Zuletzt erschien in Ko-Herausgeberschaft der Band »Salafismus und Dschihadismus in Deutschland« (Campus-Verlag, 2016). Aktuell vertritt er die Professur »Internationale Organisationen und Politikfelder« an der Universität Potsdam.
HEIKE KLEFFNER (*1966) schreibt als Journalistin seit den 1990er Jahren über rechte Gewalt, Neonazis und die Situation von Geflüchteten, u. a. für die taz, ZEIT ONLINE und den Tagesspiegel. Von 2004 bis 2009 leitete sie die Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt. Sie veröffentlichte mehrere Bücher zum Thema rechte Gewalt, zuletzt »Unter Sachsen. Zwischen Wut und Willkommen« (Ch. Links Verlag, 2017) sowie »Generation Hoyerswerda – Das Netzwerk militanter Neonazis in Brandenburg« (be.bra Verlag, 2016) und arbeitete als Referentin in beiden NSU-Untersuchungsausschüssen des Bundestages für die Fraktion DIE LINKE.
BEHNAM T. SAID (*1982) ist seit 2008 wissenschaftlicher Referent beim Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg. Er studierte Islamwissenschaft, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie Politikwissenschaft in Hamburg und promovierte 2014 mit einer Arbeit zum Thema »Hymnen des Jihads. Naschids im Kontext jihadistischer Mobilisierung«. Er veröffentlichte zahlreiche Artikel und Bücher, u. a. »Islamischer Staat – IS-Miliz, al-Qaida und die deutschen Brigaden« (C. H. Beck Verlag, 2014) sowie »Salafismus – Auf der Suche nach dem wahren Islam« (Verlag Herder, 2014). Ab Februar 2018 wird er als Referatsgruppenleiter an der Justizbehörde u. a. den neu geschaffenen Bereich »Religiöse Betreuung von Gefangenen und Extremismusprävention« übernehmen.
Streitraum 2017/18: »Wissen und Macht«
Lange galt der Mythos, wer über Wissen und Bildung verfüge, verfüge auch über Macht und Status. Umgekehrt galt der Zugang zu Wissen und Bildung auch als eine Form der Umverteilung und als Weg aus der Ohnmacht. Der »Streitraum« 2017/18 will fragen, was von dieser Vorstellung noch übrig geblieben ist. Denn offensichtlich gelten auch ganz andere Konfigurationen: Beim Brexit wie auch bei der Wahl Donald Trumps schien Unwissen (oder sogar Lügen) erstaunlich machtvoll zu sein. Der explizite Anti-Intellektualismus verschiedener populistischer Bewegungen probt den systematischen Angriff auf Institutionen der Wissensvermittlung wie Universitäten, Kultureinrichtungen und Theater. In einer Zeit, in der durch digitale Medien der Zugang zu Wissen schneller und breiter als je zuvor ermöglicht wird, sind sie nur eines der Konfliktfelder, in denen Wissen und Unwissen sowie Macht und Ohnmacht verhandelt werden. Wie ungleich oder ungerecht wird Wissen verteilt? Was sind die Ursachen für die fehlende soziale Mobilität in einer Gesellschaft? Wie gelingt es radikalen, politischen Bewegungen und Netzwerken, aber auch autoritären, chauvinistischen Regimen, ihre Ideologien und ihre Verbrechen machtvoll zu propagieren und zu inszenieren? Welche technischen, welche ästhetischen Gegenstrategien kann es gegen die Verbreitung von Lügen, Diffamierungen und Hass geben? Verschieben sich die gewalttätigen Konflikte zunehmend in die Sphäre von Cyber-Wars? Und was bedeutet das für die Kritik daran? Der »Streitraum« will in der Spielzeit 2017/18 diese ganz unterschiedlichen Phänomene in den Blick rücken: die sozialen Fragen der Ungleichheit ebenso wie die Fragen nach autoritären Regimen und den »Unsichtbaren« in der Gesellschaft – und welche Dispositive der Macht sie generieren.