You are my destiny (Lo stupro di Lucrezia)
von Angélica Liddell / Atra Bilis Teatro
Wann immer die Vergewaltigung der Lucretia im Theater dargestellt wird, geschieht dies aus der einfachsten und simpelsten Perspektive: aus politischer Sicht, entweder als Symbol für den Sturz der Tyrannen oder als Symbol für den Missbrauch der Frau durch den Mann. Die Figur der Lucretia dient dazu, um über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit zu sprechen, aber die Erschütterungen der Seele haben nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Die Gerechtigkeit definiert die soziale Ordnung, aber die Schwäche definiert die menschliche Natur, und in diesem Sinne ist diese Lucretia eine Anerkennung der Schwäche des Menschen jenseits von gerecht und ungerecht. Ich bin nicht an der sozialen Ordnung interessiert, sondern an der Unordnung der Gefühle, am Verständnis der Beziehung zwischen Lust und Schmerz.
In Venedig ist etwas geschehen, was wir uns noch nicht erklären können. Vielleicht hat das Schicksal uns dort zusammengebracht, um denselben Körper zu erstechen. Jeder hatte seine eigenen Motive, um zuzustechen. Wir waren Fremde, die einen Körper ermordeten, die dieselbe Leiche durchbohrten, jeder bereit, Stillschweigen zu bewahren über den Stich des anderen, Komplizen eines Verbrechens; schweigend und jeden Stich des Messers respektierend. Wir hatten eine Leiche zu unseren Füßen und ein schönes Geheimnis in unseren Herzen. Selbst wenn ich mit Sicherheit wüsste, dass einer dieser Männer hundert abgeschlagene Köpfe auf dem Gewissen hat, würde ich ihn niemals verurteilen, und ich würde das Geheimnis bewahren, indem ich einen weiteren Kopf mit meinem Schwert abschlage und den von mir enthaupteten zu seinem enthaupteten Kopf hinzufüge. So kam es zu Tarquinius‘ Begnadigung. Ein Mann, den die Schönheit und das Gewicht der Welt schwächten. Ich vergab Tarquinius durch meine Liebe zu meinen Männern.
Diese Lucretia bleibt aufrecht dank zweier einfacher Bewegungen, Erben des Empedokles, der Liebe und des Streits. Oder dank Demokrit, der behauptete, dass es am Anfang zahlreiche menschliche und tierische Körperteile gab, die wahllos verteilt waren: Beine, Augen, Arme, Münder. Aus ihnen wurden durch Liebe oder Anziehungskraft zufällige Kombinationen gebildet, die abscheuliche und nicht lebensfähige Kreaturen hervorbrachten, die niemals überleben würden. So haben weder Lucretia noch Tarquinius die Anziehungskraft überlebt. Das Schicksal wird einmal mehr zur Bestimmung. Das Abscheuliche und Lebensunfähige wird zur Wahrheit, die der Heuchelei der gesellschaftlichen Ordnung gegenübersteht. »Die Kriege zwischen Göttern und zwischen Menschen, das Schicksal, die Fatalität, die Naturkatastrophen. All diese Erschwernisse haben Auswirkung auf den kompletten und tiefsinnigen Menschen. Sie fegen den scheinbaren Zwiespalt des zivilisierten Menschen beiseite", sagt Nanaqui.
Angélica Liddell
Ukrainischer Chor: Anatolii Landar, Oleksii Ievdokimov, Mykhailo Lytvynenko
Text, Bühnenbild, Kostüme und Regie: Angélica Liddell
Übersetzung aus dem Italienischen: Marilena de Chiara
Französische Übersetzung: Christilla Vasserot
Licht: Carlos Marquerie
Ton: Antonio Navarro
Lichttechniker: Octavio Gómez
Technische Leitung: Marc Bartoló
Inspizientin: África Rodríguez
Regieassistenz: Julio Provencio
Produktionsleitung:Gumersindo Puche
Mit: Joele Anastasi, Ugo Giacomazzi, Fabián Augusto Gómez Bohórquez, Julian Isenia, Lola Jiménez, Andrea Lanciotti, Angélica Liddell, Antonio L. Pedraza, Borja López, Emilio Marchese, Antonio Pauletta, Isaac Torres, Roberto de Sarno, Antonio Veneziano
Produzenzen: : Iaquinandi, S.L., Prospero (Théâtre National de Bretagne - Rennes, Théâtre de Liège, Emilia Romagna Teatro Fondazione, Schaubühne am Lehniner Platz, Göteborgs Stadsteater, World Theatre Festival Zagreb, Festival von Athen und Epidaurus)
Co-Produziert von: Odéon-Théâtre de l’Europe, Festival d’Automne à Paris, deSingel Internationale Kunstcampus, Le-Parvis Scène Nationale Tarbes Pyrénées, Comédie de Valence - Centre dramatique national Drôme-Ardèche
Unter Mitwirkung von: Festival de Otoño a Primavera de la Comunidad de Madrid
Unterstützt von: Comunidad de Madrid, Ministerio de Educación, Cultura y Deporte - INAEM
Danksagung: Herzlichen Dank an Àlex Rigola und die Biennale di Venezia, die das Treffen mit den Schauspieler_innen ermöglicht haben. Ohne sie hätte es dieses Stück nie gegeben.