Artist in Focus:
Caroline Guiela Nguyen

Auch in dieser FIND-Ausgabe 2025 stellen wir wieder das Werk einer künstlerischen Persönlichkeit als Artist in Focus ins Zentrum: die französisch-vietnamesische Regisseurin und Autorin Caroline Guiela Nguyen ist mit zwei Inszenierungen und einer Preview ihrer neusten Arbeit auf dem FIND vertreten. Sie wurde 1981 als Tochter einer französisch-vietnamesischen Mutter und eines jüdisch-sephardischen Vaters in Südfrankreich geboren. Die Tatsache, dass sie selbst nie die Sprache ihrer Mutter gelernt hat, beschreibt Guiela Nguyen heute als einen wichtigen Ausgangspunkt für ihr Schreiben. »Als meine Mutter in Frankreich ankam, war das erste, das man von ihr verlangte, ihre Sprache abzulegen und Französisch zu sprechen. Es war also nicht nur ihre persönliche Entscheidung, ihr Schweigen war politisch gewollt. Unsere Geschichten werden bis heute nirgends erzählt, nicht im Schulunterricht, nicht im öffentlichen Raum, und so kommt plötzlich dieses Gefühl der Scham auf.

In meinen Inszenierungen will ich das Schweigen brechen und Geschichten und Personen, die schon zu lange im Unsichtbaren waren, sichtbar machen.« Guiela Nguyen studierte zunächst Soziologie und dann Theaterregie an der École du Théâtre national de Strasbourg. Während des Studiums fanden sie und ihr künstlerisches Team, das gemeinsam bis heute an jeder neuen Inszenierung arbeitet, zusammen: die Bühnenbildnerin Alice Duchange, der Kostümbildner Benjamin Moreau, der Komponist Antoine Richard, der Videokünstler Jérémie Scheidler, der Lichtdesigner Jérémie Papin sowie die Künstlerische Mitarbeiterin Paola Secret. Seit 2009 verbindet sie ihre Kompanie »Les Hommes Approximatifs« (»Ungefähre Menschen«). Ihre Arbeit steht für eine besondere Form von theatralem Realismus, der an die Notwendigkeit, die reale Welt in ihrer Widersprüchlichkeit zum Gegenstand von Theater zu machen, genau so stark glaubt wie an die Freiheit, ausgedachte Geschichten zu erzählen. Die Inszenierungen, in denen oft professionelle und nicht-professionelle Spieler_innen das Ensemble bilden, erzählen fiktive Geschichten in hyperrealistischen Settings, die stark von Recherchen, Reisen, Interviews und realen Orten, Begebenheiten und Menschen inspiriert sind. Erste wichtige Arbeiten entstanden an der Comédie de Valence: »Se souvenir de Violetta«, »Ses Mains«, »Le Bal d’Emma«, »Elle brûle« and »Le Chagrin«.

Ab 2015 begann Guiela Nguyen eine künstlerische Zusammenarbeit mit Inhaftierten des Gefängnis in Arles, aus der während mehrerer Jahre die Inszenierungen »Désordre d’un futur passé« und »Marius« sowie ihr Film »Les Engloutis« (»Die Untergegangenen«) entstanden.

Der internationale Durchbruch gelang Caroline Guiela Nguyen und »Les Hommes Approximatifs« 2017 mit ihrer Inszenierung »SAIGON«, einem großen Panorama über die Risse, welche die französische Kolonialgeschichte in Vietnam in Familien, Liebes- und Freundschaftsbeziehungen hinter- lassen hat. Die Inszenierung lief im FIND 2018 und machte Guiela Nguyen in Deutschland bekannt. Seither ist sie um die ganze Welt gereist und kommt zum FIND 2025 im Rahmen der Werkschau zurück.

Im FIND zeigen wir darüber hinaus Guiela Nguyens Stück von 2024 »LACRIMA«, in dem verschiedene Menschen rund um den Globus an einem Hochzeitskleid für das britische Königshaus arbeiten. Die Geschichten hinter dem Kleid weben ein neues – und erzählen dabei von Verlust, Schmerz und Tränen. In einer exklusiven Preview zeigen wir Guiela Nguyens allerneuste Arbeit, die erst Ende April zur Uraufführung in Strasbourg kommt – am dortigen Théâtre national, dessen Intendantin sie seit 2023 ist. »Valentina«. Das Stück handelt von einem Kind, das für seine Mutter, die nicht Französisch spricht, schicksalhafte Diagnosen ihres Arztes übersetzen muss – und vor der Frage steht, ob sie ihre Mutter mit der Wahrheit konfrontieren soll.