Festival Internationale Neue Dramatik 2018
Vom 6. bis 22. April
Vom 6. bis 22. April 2018 laden wir Sie ein, neue Inszenierungen aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt zum ersten Mal in Berlin zu erleben. Neben bekannten Theatermacher_innen, die schon in der Vergangenheit an der Schaubühne waren, gibt es zahlreiche Neuentdeckungen. Viele der eingeladenen Inszenierungen setzen sich mit dem Vergessen auseinander, sie versuchen, eine »Kunst des Vergessens« zu entwickeln. Den Ausgangspunkt bildet der utopische Wunsch, Traumata durch eine gezielte Verwischung des eigenen oder des kollektiven Gedächtnisses zu überwinden. Doch der alte Menschheitstraum der Heilung durch Vergessen entartet schnell zum Schreckensszenario. Das Verdrängen der Vergangenheit führt zum ungewollten Wiederaufbrechen von Wunden, zum Verlust der persönlichen und kulturellen Identität. Das institutionalisierte Vergessen, das eigentlich eine Wiederherstellung des Friedens ermöglichen soll – die Amnestie –, wird zum Freibrief für Leugnung von Verbrechen – zur gesellschaftlichen Amnesie. Im Zeitalter des Neoliberalismus bewirkt eine zynisch praktizierte »Kunst des Vergessens« die Löschung ganzer Bevölkerungsteile aus dem Diskurs: eines Heeres von »Vergessenen«, das sich allein auf dem Weg des Triumphs von Rechtspopulisten wieder in Erinnerung ruft. Das FIND-Programm setzt der »Kunst des Vergessens« das Theater als Schauplatz der Erinnerung entgegen. Als Ort, an dem verdrängte Konflikte zum Ausbruch kommen – um vielleicht gerade dadurch einen Weg zu ihrer Überwindung zu weisen.
Programm
Anhand einer an die Figuren und Situationen Ibsens angelehnten Familie und ihres Ferienhauses, die zugleich zum Sinnbild einer gesamten auf Verdrängung aufbauenden Gesellschaft wird, porträtiert Simon Stone in »Ibsen Huis« (Amsterdam) einen Kosmos des individuellen und kollektiven Ausblendens von Wahrheit: Ibsensche Lebenslügen, deren Vertuschungsmanöver nur das Aufbrechen alter Wunden bewirken.
In »Saigon« (Valence/Ho-Chi-Minh-Stadt) geht Caroline Guiela Nguyen dem Versuch der Traumabewältigung unter den vietnamesischen Exilanten Frankreichs nach – und dem zugleich dadurch verursachten kulturellen Vergessen und persönlichen Identitätsverlust.
In »La Despedida« (Bogotá) führt die Gruppe Mapa Teatro vor, in welchem Maße der Friedensprozess mit der FARC-Guerilla, der mit einer beidseitigen Amnestie verbunden ist, in Wahrheit als Vehikel einer gesellschaftlichen Amnesie dient, die sämtliche Reminiszenzen einer einstmals utopisch-revolutionären Idee verwischen soll.
»El Hotel« (Santiago de Chile) ist in einer Alzheimer-Pflegeklinik für ehemalige Angehörige der Militärjunta angesiedelt. Die erstmals in Deutschland auftretende Gruppe Teatro La María karikiert in dieser Farce die nicht selten von der Gesellschaft widerspruchslos übernommenen Verdrängungsmechanismen und zynische Kultur des Vergessens, die sich unter den einst Verantwortlichen für Folter und Tod in der Pinochet-Diktatur selbstzufrieden breitmachen.
In »Evel Knievel contra Macbeth na terra do finado Humberto« (Montpellier/Ligüeria/Marseille) haucht Rodrigo García dem shakespeareschen Usurpator und seiner Unfähigkeit, die eigenen Verbrechen und das prophezeite Schicksal zu vergessen, neues Leben im Nordosten Brasiliens ein: in Gestalt von Orson Welles, der über seine Macbeth-Filmrolle seine reale Existenz vergessen hat und sich nun verfolgt von einem japanischen Manga-Drachen, einem Motorrad-Stuntman und zwei altgriechischen Philosophen von den Spuren seiner imaginierten Identität zu befreien sucht.
Der libanesisch-kanadische Autor, Regisseur und Performer Wajdi Mouawad reist auf den Spuren des Odysseus in »Inflammation du verbe vivre« (Paris) über die Fluten des Letheflusses in den Hades, um dort Philoktetes, den durch Odysseus’ Betreiben absichtlich vergessenen Helden des trojanischen Krieges, wiederzufinden – landet dabei aber im Griechenland der heutigen Wirtschaftskrise und stößt auf die Seelen der von der Gesellschaft vergessenen Toten, die mutwillig aus dem kollektiven Bewusstsein der Gesellschaft verdrängt wurden.
Ofira Henig verfolgt in »KIND OF« (Haifa/Berlin) mit ihrem Ensemble die Deformationen, die ein auf Exklusion und Ausblendung von gesellschaftlicher Wirklichkeit konzentriertes Erziehungssystem bereits im Kindesalter hinterlassen und dabei eine ganze Generation und Bevölkerungsgruppe zu »Vergessenen« gemacht hat. Gleichzeitig geht sie der Frage nach, welche Rolle in diesem Exklusionsmechanismus die Sprache spielt, die als ein politisches Instrument immer wieder die Grenzen zwischen diesen Bevölkerungsgruppen deutlich macht.
Angélica Liddell macht sich in »Qué haré yo con esta espada« (Madrid/Tokio) über zwei reale Akte archaischer Gewalt im Paris moderner Tage – den kannibalischen Mord eines japanischen Studenten an seiner Kommilitonin im Jahr 1981 und die Attentate vom November 2015 – auf die Suche nach den vom Rationalismus verdrängten Wurzeln von Gewalt und Zerstörung, um ihre Transformation in Kunst, in Akte des poetischen Kannibalismus zu zelebrieren.
Die Performance-Künstlerin Ntando Cele verwandelt sich während ihrer Stand-Up-Konzert-Performance »BLACK OFF« (Durban/Bern) via »Whitefacing« in eine Frau der Oberschicht und hinterfragt zusammen mit einer Rockband weiße Privilegien.
Amir Nizar Zouabi beobachtet in »Oh My Sweet Land« (London/Lausanne) eine Frau beim Kochen von syrischen Kibbeh. Der Duft des Gerichts auf dem Herd lässt in ihr verschüttete Erinnerungen an die Geschichte ihrer Familie und ihre Liebe zu einem syrischen Exilanten wieder auferstehen.
Für »don’t forget to die« (München) hat die Regisseurin Karen Breece mit ihrem Ensemble einen Text über einen angemessenen Umgang mit dem Tod entwickelt, der sich im Grenzbereich zwischen Erinnerung und Hoffnung bewegt. Auf der Bühne erforscht die Schauspielerin Ursula Werner gemeinsam mit vier Altersgenoss_innen die komischen und traurigen Seiten des Lebens und des Sterbens.
Darüber hinaus erwarten Sie eine Podiumsdiskussion mit Didier Eribon, Geoffroy de Lagasnerie und Katja Kipping, Publikumsgespräche und eine Ausgabe des Streitraums zum NSU-Komplex. An den Wochenenden gibt es einen Poetry Slam, ein Konzert und Partys.
FIND plus
Das zehntägige Workshop-Programm »FIND plus« findet 2018 zum achten Mal statt. Es bringt dieses Jahr Schauspiel- und Regiestudierende aus Frankreich, Deutschland und Portugal zusammen. Die 75 Studierenden von Schulen aus Paris, Berlin und Lissabon treffen auf die Theatermacher_innen des Festivals, begleiten das Programm, und arbeiten in Masterclasses zusammen, die von geladenen Dozent_innen unterrichtet werden. Dazu stößt eine Klasse der New Yorker Tisch School of the Arts. In den vergangenen Jahren waren Studierende aus Kroatien, Palästina, Polen, Russland, Tunesien, der Türkei, Ungarn und Griechenland unsere Gäste bei dieser besonderen Begegnungsmöglichkeit für den Theaternachwuchs.
SPONSOREN
FIND wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und die Lottostiftung Berlin
FIND plus findet statt in Zusammenarbeit mit der Allianz Kulturstiftung, dem deutsch-französischen Jugendwerk, dem Conservatoire National Supérieur d’art Dramatique und der NYU Berlin.
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