Robert Lepage

Artist in Focus: Robert Lepage

In dieser Ausgabe des FIND widmen wir zum zweiten Mal einer bedeutenden Figur des internationalen Theaters einen Schwer­punkt: dem Autor, Theaterregisseur, Schauspieler, Bühnenbildner und Filmemacher Robert Lepage. Wir freuen uns sehr, einen Theaterschaffenden, dessen Inszenierungen gleich mehrere Generationen des internationalen Autor_innentheaters prägten, mit zwei Inszenierungen und einem Rahmenprogramm vorstellen zu können.

In Lepages Werken verbinden sich die Lust am Erzählen von Geschichten mit Humor, Tragik und geschickten dramaturgischen Konstruktionen. Mit ungeheurer szenischer Fantasie entwickelt er einen erzählerischen Sog und nimmt sein Publikum mit in seine Geschichten und Welten. Erinnerung spielt dabei oft eine zentrale Rolle, autobiografische Erinnerungen, gespiegelt in größeren historischen Zusammenhängen, der Geschichte Québecs, der Geschichte des 20. Jahrhunderts und seiner großen Katastro­phen und Verwerfungen. Einen weiteren Resonanzraum bildet der westliche Kanon des Theaters, von Shakespeares Helden Hamlet, Coriolanus oder Macbeth bis hin zu antiken Figuren wie Ödipus. Auch naturwissenschaftliche Phänomene, Kunst, Wissenschaft, Alltägliches und Banales finden ihren Widerhall: Dies alles verbindet sich bei Lepage zu einem ganz eigenen erzählerischen Kosmos. Virtuos experimentierte Lepage auf der Bühne schon sehr früh mit Video und neuen Technologien, die bei ihm nie als reine technische Spielereien erscheinen, sondern eine eigene erzählerische Magie erzeugen. Die Ausdrucksmittel des europäischen und nordamerikanischen Theaters verbindet er mit japanischen Theaterformen wie Noh und Kabuki, chinesischer Oper und vietnamesischem Puppentheater.

Robert Lepage wurde 1957 in Québec City geboren und wuchs in einer zweisprachigen Arbeiterfamilie auf. Er interessierte sich zunächst für Geografie und schrieb sich mit 17 Jahren am Konservatorium für Musik und dramatische Kunst in Québec ein. Nach seinem Abschluss 1978 ging er nach Paris, um in der französischen Hauptstadt seine Ausbildung an der Theaterschule des Schweizer Regisseurs Alain Knapp fortzusetzen. Zurück in seiner Heimat, schloss er sich dem Théâtre Repère in Québec an. Von 1989 bis 1993 war er künstlerischer Leiter des Théâtre français am Canadian National Arts Center in Ottawa und begann, mit seinen eigenen Projekten auf Tournee zu gehen – etwa mit »Needles and Opium«, einem Stück über Miles Davis und Jean Cocteau. 1992 inszenierte er Shakespeares »Sommernachtstraum« als erster Nordamerikaner am Royal National Theatre
in London. Auch als Opernregisseur hat er sich international einen Namen gemacht: So führte er unter anderem Regie bei allen vier Teilen von Richard Wagners
»Ring des Nibelungen« an der Metropolitan Opera in New York. 1994 gründete Lepage in Québec seine Kompanie Ex Machina, für die er einerseits groß angelegte und mittlerweile legendäre Produktionen wie »The Seven Streams of the River Ōta«, aber auch Solostücke wie »La Face cachée de la Lune« schuf.

In Berlin präsentiert er beim FIND mit dem Monodrama »887« nun die Deutschlandpremiere eines seiner jüngeren und intimsten Werke: Nach einer Reihe spektakulärer Produktionen wie seiner Drachen-Trilogie (»La Trilogie des Dragons«) und der Zusam­menarbeit mit dem Cirque du Soleil kehrte Lepage 2015 mit »887« zum kleineren Format des Soloabends zurück. In seinem Stück – benannt nach der Nummer des Hauses, in dem er aufge­ wachsen ist – erforscht der Kanadier die Funktionsweise der Erinnerung, in der sich persönliche Geschichten aus der Kindheit mit historischen Betrachtungen verflechten. Gleichzeitig ist »887« eine Ode an die Kunst des Schauspiels, einem Handwerk, für das die Erinnerung einen wesentlichen Grundstein darstellt. Daneben ist die Neuproduktion eines seiner bekanntesten und monumentalsten Werke für die Bühne zu erleben. In »The Seven Streams of the River Ōta«, entstanden zwischen 1994 und 1996 und 2019 mit einer Neubesetzung wiederaufgenommen, erweckt Lepage für FIND ein Meisterwerk seiner frühen Jahre wieder zum Leben.

Nicht nur Theater, sondern auch zwei erfolgreiche Spielfilme des Multitalents Lepage sind beim FIND zu sehen. Mit der ver­ spielten und skurrilen Komödie »Die andere Seite des Mondes« (»La Face cachée de la Lune«, 2003) – der oscarnominierten und mehrfach preisgekrönten Kinoversion seines gleichnamigen Theaterstücks – präsentieren wir in unserem Programm eine weitere künstlerische Facette Lepages: die des Filmregisseurs. Lepage selbst spielt beide Hauptrollen, die gegensätzlichen Brüder Philippe und André, die sinnbildlich stehen für die Konkur­renz zwischen Amerikanern und Russen, für die kapitalistische und kommunistische Welt: Der 40-­jährige Single Philippe träumt von der Raumfahrt. Nach dem Tod seiner Mutter muss er sich mit ihrem Goldfisch, der Wohnung, einem Kosmonauten und seinem arroganten Bruder André, einem erfolgreichen TV­-Meteo­rologen, auseinandersetzen. Für seinen Film »The Confessional« (1995) verbindet Lepage eine Geschichte Alfred Hitchcocks, der 1952 eine Schlüsselszene seines Films »I Confess« im katholischen Québec drehte, mit der Aufdeckung einer Familien­tragödie. Den erfolgreichen Pierre und seinen orientierungslosen Adoptivbruder Marc bringt der Tod des Vaters wieder zusammen. Marc hat nie erfahren, wer sein leiblicher Vater ist, fühlt sich verloren und wurzellos. Gemeinsam begeben sie sich auf die Suche und stoßen auf ein düsteres Geheimnis in ihrer Familie, das mit einem Priester zu tun hat, der sein Schweigegelübde nicht bricht, mit unehelicher Schwangerschaft, dem Suizid einer 16-­Jährigen und Alfred Hitchcocks Dreharbeiten zu »I Confess«. Meisterhaft verwebt Lepage zwei Zeitebenen, Hitchcocks Film und den Mythos von Ödipus zu einer sehr persönlichen Familien­geschichte.

»The Confessional« ist am 9.4. von 12 Uhr an im Kino Eva Lichtspiele (Blissestraße 18) zu sehen, gefolgt von »La Face cachée de la Lune« um 15 Uhr.

»Artist in Focus: Robert Lepage«-Programm wird unterstützt durch die Botschaft von Kanada und der Vertretung der Regierung von Québec. 

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