Streit ums Politische 2019/20: »Einsamkeit«
Heinz Bude im Gespräch mit seinen Gästen
Leben wir in einer Gesellschaft der Einsamen? Einsam fühlen sich die ausgegliederten Endfünfziger, weil sich niemand mehr für ihre Berufskompetenzen und ihre Lebenserfahrungen zu interessieren scheint. Allein gelassen empfinden sich viele Frauen über 70 in ihren Solohaushalten, weil die Enkel mit ihren Kindern weit weg wohnen und auch die Verwandschaft sich mehr und mehr gelichtet hat. Einsam sind aber auch nicht wenige Endvierziger, die nachts mit dem schrecklichen Gedanken aufwachen, dass sie die falschen Lebensentscheidungen getroffen haben, aber aus der Falle ihrer Existenz nicht mehr herausfinden. Und einsam fühlen sich mehr Mittzwanziger, als man denkt, weil sie in ihrer transzendentalen Obdachlosigkeit von Politik, Kultur und Kunst nicht ernst genommen werden. Die Einsamen glauben, dass ihnen das Leben zerrinnt und dass sie von der Gesellschaft vergessen worden sind. Man kann ihnen fürs Alter kommunikative Roboter anbieten, die als selbstlernende Maschinen sehr verständnisvoll auf ihre Selbstwirksamkeitsbedürfnisse eingehen. Man kann sie übers Internet mit Lebensassistenzangeboten für alle Lebenslagen versorgen. Man kann sie mit Idolen der rabiaten Selbstverwirklichung von ihrer Misere ablenken. Aber sie bleiben trotzdem allein mit ihrer Angst, nichts mehr zu bedeuten. Dabei wäre die Sache doch ganz einfach, wenn sie verstehen würden, dass sie selbst in ihrer Einsamkeit nicht allein sind. Eine Parole aus dem Berlin der 1980er Jahre gilt immer noch: »Allein machen sie dich ein!«